Die Kornmuhme (German Edition)
ihr hier,
Aron und Sonnwin<<, sagte plötzlich eine Stimme sehr klar.
Aron zögerte. Dann fasste er sich
ein Herz und richtete das Wort an die Nornen.
>> Ja, wir sind gekommen, um
euch eine wichtige Frage zu stellen, und wir bitten euch inständig, diese zu
beantworten. Wir sind einen weiten Weg gekommen…<<
>>Das wissen wir<<,
antwortete die am besten verständliche Stimme nun durch das Flüstern der
anderen hindurch.
>>Fragt! <<
>> Wir suchen das Feld der
Kornmuhme. Wisst ihr, wo es sich befindet? <<, fragte Sonnwin.
Das Flüstern wurde noch einmal
intensiver, so als würden die Nornen sich beraten.
>> Dieses Feld ist für euch
schicksalhaft, Aron und Sonnwin. Wir webten eure Lebensfäden schon in es
hinein, lange bevor ihr geboren wurdet. Und da schon sicher ist, dass ihr mit
diesem Feld verbunden seid, werden wir es euch verraten. <<
>>Schicksalhaft, inwiefern?
<<, fragte Sonnwin etwas beunruhigt.
Die Nornen flüsterten wieder
durcheinander. Dann sagte eine andere gut vernehmbare Stimme: >> Nur
einer von euch wird sein Glück dort finden. Der andere wird ins Verderben
stürzen. <<
>>Aha, sehr
aufschlussreich<<, grummelte Sonnwin.
Aron überlegte. Wovon sprachen die
Nornen? Hatten Sonnwin und er nicht dasselbe Ziel? Hatte Sonnwin überhaupt
irgendein Ziel, was diese Sache anbelangte? Er war schließlich nur Zagels
Handlanger, der eine Aufgabe zu erfüllen hatte, mehr nicht. Scheiterte Aron, so
scheiterte auch Sonnwin.
>>Werden wir nicht beide
scheitern, wenn nur einer scheitert? <<, fragte Aron halblaut.
>>Nein<<, antworteten
die Nornen. >> Einer von euch wird erfolgreich sein, der andere wird
alles verlieren. <<
Aron und Sonnwin schwiegen
betreten.
>> Aber ziehen wir nicht am
selben Strang? <<, fragte Aron noch einmal ungläubig.
>>Nein <<, kam als
Antwort zurück.
Aron blickte unverwandt Sonnwin
an, der begann, unruhig von einem Bein aufs andere zu tippeln. Die Nornen
fuhren fort.
>> Das wandernde Feld der
Muhme liegt gerade bei Hoxberg. Geht dorthin und ihr werdet es finden. <<
Sonnwin überlegte fieberhaft.
Vielleicht konnte er hier Klarheit bekommen, und die nagende Sorge über den
Ausgang dieser Reise endlich loswerden. Hier war seine letzte Chance, etwas
über seine Mission zu erfahren.
>>Was wird mit mir sein?
Werde ich Erfolg haben? <<
>>Sonnwin <<,
flüsterte es nach einiger Zeit zurück. >> Wir dürfen dir nichts erzählen,
was die Zukunft gefährdet. Nur eines darfst du schon wissen: dein Name wird im
ganzen Reich der Zwerge bekannt und nie mehr vergessen werden! Geht nun.
<<
Sonnwin drehte sich kess auf dem
Absatz herum und stapfte sichtlich zufrieden in die Richtung, aus der sie
gekommen waren. Wie betäubt stolperte Aron im Dunkeln hinter ihm her.
40
Gryla hockte mit angezogenen
Beinen gegenüber auf dem hölzernen Schaukelstuhl und wippte sachte hin und her.
Sie begaffte Ranja mit zynischem Blick, so wie sie es oft tat, seit dem Abend
im verbotenen Zimmer. Von dem einst gutmütigen, liebevollen Ausdruck auf Maras
Gesicht war nichts mehr zu erkennen. Es war zu einer Fratze entstellt, die
Ranja kaum wiedererkannte, da nun Grylas boshaftes Wesen von innen nach außen
dringen durfte.
Ihre Bewegungen waren fahrig
geworden – manchmal denen eines Tieres gleich. Sich wie Mara zu bewegen, sich
wie sie zu verhalten und zu sprechen, musste für Gryla all die Jahre
anstrengend gewesen sein. Jetzt tollte sie manchmal - soweit es Maras alte
Knochen noch zuließen - mit linkischen Bewegungen durch das Haus, so als wäre
sie von einer Last befreit.
Ranja hatte eine grauenvolle Zeit
hinter sich. Etwa zehn Tage waren vergangen, und sie erwachte jeden Morgen mit
Schrecken in diesen Alptraum, zu dem ihr Leben geworden war. Sie versuchte sich
seitdem in Tagträume oder in den Schlaf zu flüchten, bloß weg aus diesem
grauenvollen Alltag, weg aus diesem Haus mit der Hex‘, weg aus diesem
Alptraumleben. Sie suchte Aron verzweifelt in ihren Träumen, doch sie fand ihn
nicht mehr, so als würde er nicht mehr schlafen – oder als wäre er tot.
Im Nachhinein betrachtet, hatte
sie vor ihrem Besuch im verbotenen Zimmer so manches Mal eine dunkle Ahnung
gehabt, dass in Mara noch etwas anderes lauerte. Sie hatte jedoch nie gewagt,
solche Gedanken wirklich zuzulassen.
Jedes Mal, wenn sie aufgetaucht
waren – vor allem nach ihren düsteren Träumen – hatte sie sie schnell wieder
beiseitegeschoben.
Sie hätte es besser bei dieser
beunruhigenden, immer mal wieder aufflackernden
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