Die Kraft der Mitfuehlenden Kommunikation
vielleicht gilt der Blick vielmehr der Bäckereiauslage im Schaufenster direkt hinter Ihnen. Der erste Eindruck ist ein wichtiger Hinweis, aber wir brauchen weitere Informationen, wie wir sie aus einem Gespräch mit der betreffenden Person gewinnen.
Was lässt uns so unbehaglich zumute werden, wenn wir bemerken, dass uns jemand anschaut? Der Philosoph Jean-Paul Sartre nannte es »den Blick des Anderen« und glaubte, dass man durch den Blick eines anderen Menschen sich seiner eingebildeten oder wirklichen Unzulänglichkeiten verstärkt bewusst werde. Die Neurologie bestätigt das bis zu einem gewissen Grad, aber hauptsächlich bei ängstlichen oder auf Täuschung bedachten Menschen. Augenkontakt verstärkt gewöhnlich die Vertrauenswürdigkeit und fördert zukünftige Zusammenarbeit bei Menschen, die sich sozial positiv verhalten. 2 Derselbe Effekt tritt auf, wenn wir jemandem mit einem fröhlichen Blick begegnen. 3
Sartre argumentierte, dass es Schamgefühl auslösen kann, wenn man angestarrt wird. Er nahm an, dass die Sozialmoral schwindet, sobald man allein ist. Diese Ansicht Sartres wird von der Forschung gestützt. Bei einem einzigartigen Experiment der Evolution and Behaviour Research Group der University of Newcastle richteten die Forscher in einem Büro ein Kaffee-, Tee- und Milchbüfett ein. Die Preise waren ausgeschildert, und auf dem Tisch stand ein einfaches Kästchen, in dem man das Entgelt für die entnommenen Getränke selbst deponieren sollte. Der Versuchsaufbau umfasste noch ein zusätzliches Element: ein Bild neben der Preistafel. Fünf der zehn Wochen des Experiments hindurch hingen dort Blumenbilder, aber jede zweite Woche war es ein neues Bild, das ein Augenpaar zeigte. Diese Bilder waren so angebracht, dass sie den Kunden direkt anstarrten, und in den Wochen, während sie dort hingen, wurde das Dreifache an Geld eingenommen.
Es gab also ganz deutlich weniger Betrug und mehr Ehrlichkeit, wenn die Büroangestellten unbewusst glaubten, überwacht zu werden, auch wenn die Augen nur eine Abbildung und keinem anwesenden Menschen zuzuordnen waren. Die Forscher erklärten: »Das menschliche Wahrnehmungssystem enthält Neuronen, die selektiv auf Gesichts- und Augenstimuli reagieren, und es ist daher möglich, dass die Bilder einen automatischen und unbewussten Effekt auf die Wahrnehmung der Versuchsteilnehmer hatten und sie so handeln ließen, als würden sie überwacht.« 4
Als Reaktion auf dieses Experiment startete die Polizei im britischen Newcastle eine Verbrechensbekämpfungsinitiative, die aus großen Plakaten mit einem starrenden Augenpaar bestand, unter dem »Wir haben ein Auge auf Kriminelle« stand. 5 Das Ergebnis war ein siebzehnprozentiger Rückgang der Verbrechensquote im ersten Jahr der Kampagne. Ein ähnlicher Versuch läuft seit einigen Jahren in Derbyshire, ebenfalls in England, wo lebensgroße Pappfiguren in Form von Polizisten aufgestellt worden sind. 6 Das schreckt zwar tatsächlich Laden- und Benzindiebe von ihren Missetaten ab, nicht aber, wie die Polizei feststellen musste, solche Langfinger, die es auf die Pappkonstabler selbst abgesehen haben!
Wie weitere Laborstudien zeigten, nehmen Ehrlichkeit und Kooperationsbereitschaft zu, wenn man annimmt, beobachtet zu werden. Bei garantierter Anonymität dagegen neigen Menschen eher zu Selbstsüchtigkeit, Unehrlichkeit und Täuschung. 7
Die Sprache der Augen
Augenkontakt ist ein zentrales Element der sozialen Kognition, und jeder braucht ihn von der Geburt bis zum Tod als Hilfe, um den emotionalen Zustand seiner Mitmenschen zu erkennen. 8 Für Kleinkinder ist der Blick in die Augen anderer wesentlich für die neuronale Entwicklung des Gehirns. Er stärkt Kognition, Aufmerksamkeit und Gedächtnis und hilft dem Säugling, seine Emotionen zu regulieren. 9
Anhaltender Augenkontakt löst im Gehirn eine »Annäherungs«-Reaktion aus und signalisiert, dass die Beteiligten an einem sozialen Kontakt interessiert sind. 10 Wenn aber einer der beiden seine Augen abwendet, zeigt das dem Betrachter eine »Vermeidungs«-Reaktion. 11 Ein abgewandter Blick ist für den Betrachter ebenso ein Hinweis darauf, dass der Betreffende etwas zu verbergen hat oder lügt. 12 Was das ist, kann man allerdings erst ausmachen, wenn man mit dem Visavis in einen Dialog eintritt. So fühlt der oder die Betreffende womöglich ein romantisches Interesse, möchte aber gerade deswegen keinen Augenkontakt, weil er oder sie verheiratet ist. Oder vielleicht ist unser
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