Die Kraft gelebter Gegenwart
Agieren lösen und es durch achtsames Reagieren ersetzen, geben wir diese Verhaltensweisen automatisch an unsere Kinder weiter.
Der Unterschied zwischen reaktivem Agieren und achtsamem Reagieren liegt darin, dass das reaktive Agieren Öl ins Feuer gießt. Das achtsame Reagieren hingegen gießt Wasser ins Feuer. Es geht wieder um »Hitze«. Wie verhalten wir uns also, wenn wir in unbewusstes, reaktives Agieren verwickelt sind?
Wenn etwas nicht so verläuft, wie wir uns das vorstellen, und es daher anscheinend gegen unsere Sicht der Dinge verstößt, regen wir uns auf. Dann haben wir reaktiv agiert. Reaktives Agieren ist jegliches physische, mentale oder emotionale Verhalten, bei dem wir uns aufregen und für das wir die Ursache – und damit die Verantwortung – in Faktoren suchen, die nicht bei uns liegen.
Reaktives Agieren zieht entweder direkt oder indirekt die Frage der Schuldzuweisung heran. Letztlich sind die Konsequenzen von Schuldzuweisung Schuldgefühle, Reue und Schamgefühl, ob wir es zugeben oder nicht. Wir haben alle die Erfahrung gemacht, dass wir uns aufregen, die Schuldfrage aufwerfen und uns dann, wenn wir wieder Herr unserer Sinne werden, unseres Verhaltens schämen. Reaktives Agieren ist verschwendete Energie, und dies lässt sich vermeiden.
Die drei Stufen des Mechanismus des reaktiven Agierens sind: sich aufregen, die Schuld zuweisen und Schuldgefühle, Reue oder Schamgefühl. Wir wollen uns diese Aspekte genauer ansehen:
1. Zunächst sehen wir uns das Verhalten an, das wir »sich aufregen« nennen. The Presence Process lädt uns zu einer Verschiebung unserer Wahrnehmung ein: dass wir uns nämlich gar nicht so sehr »aufregen«, sondern »in die Falle tappen«.
Wenn wir diese uns »aufregende« Erfahrung an dem Maßstab der gefühlten Wahrnehmung messen, ist offensichtlich, dass die stark aufgeladenen Emotionen, die diesem speziellen »Aufreger« zugrunde liegen, nicht das erste Mal in unserem Leben auftreten. Dass dies eine Wiederholung einer Erfahrung ist, wird bereits im Wortstamm der Bezeichnung »reaktives« Agieren deutlich. Reaktiv ist rein visuell eine Wiederholung einer bestimmten Aktivität. Es ist ein re -aktives Agieren: »re« in der Bedeutung von »wieder«. An der Struktur des Wortes erkennen wir, dass das Ereignis, das uns in die Falle tappen lässt, nicht dazu führt, dass wir ein neues Verhaltensmuster an den Tag legen. Es wird ein gewohnheitsmäßiges und vorhersagbares Verhaltensmuster abgerufen, das in ähnlichen Situationen wieder und wieder an die Oberfläche tritt.
Die erste Stufe des Mechanismus des reaktiven Agierens ist also, dass wir uns aufregen. Das Aufregen umfasst das Ausleben einer kalkulierten, gewohnheitsmäßigen und daher vorhersagbaren physischen, mentalen und emotionalen Dramatik – unser Agieren. Die stark aufgeladenen Emotionen, die die Ursache dieser speziellen, sich wiederholenden Dramatik sind, wurden während unserer Kindheit dem emotionalen Körper als Prägung mitgegeben.
2. Die zweite Stufe des Mechanismus des reaktiven Agierens ist, dass wir jedes Mal, wenn wir in diese Falle laufen, auf eine bestimmte Art der Dramatik zurückgreifen, die im Kern die gleiche Absicht verfolgt: Schuldzuweisung. Die Dramatik ist eine wiederholt ausgeführte Handlung, die die Verantwortung für das Geschehen etwas oder jemand anderem gibt als uns selbst.
Schuldzuweisungen gehören zu jenen besonderen Verhaltensweisen, bei denen die Dramatik nicht nur eingesetzt wird, um Aufmerksamkeit, insbesondere Mitgefühl, zu erlangen, sondern auch, um die Aufmerksamkeit von uns weg und auf etwas oder jemand anderen zu lenken. Wir greifen solange auf Schuldzuweisungen zurück, solange wir nicht bereit sind, die Verantwortung für die Qualität unserer Erfahrung selbst zu übernehmen. Eine Schuldzuweisung ist so, als ob wir dem Spiegel die Schuld für den Inhalt des Spiegelbilds geben.
Schuldzuweisungen haben jedoch Folgen. Wenn wir die Schuld anderen zuweisen, schwächen wir uns selbst, denn damit erklären wir, dass wir uns selbst als Opfer wahrnehmen und damit als machtlose Beute anderer.
3. Mit dieser Schwächung kommen wir zur dritten Stufe des reaktiven Agierens, zu den Schuldgefühlen, zur Reue und zum Schamgefühl. Auf der bewussten Ebene fühlen wir uns wahrscheinlich wegen unseres reaktiven Agierens, das wir während des Aufregens an den Tag legen, schuldig, reuevoll und beschämt. Aber dies ist nicht alles. Auf der unbewussten Ebene fühlen wir auch deshalb
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