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Die Kreatur

Die Kreatur

Titel: Die Kreatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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Körperfunktionen außer Kraft setzen, wenn er dazu aufgefordert wurde. Von einem Moment zum anderen hatte William seinen eigenen Herzschlag und seine Atmung abgestellt und war gestorben.
    Diesen Trick hätte er aber nicht anwenden können, um Selbstmord zu begehen. Nur die rituelle Anweisung, im exakten Wortlaut und mit der Stimme seines Schöpfers vorgetragen, konnte den Mechanismus auslösen.
    Wenn die eigene Existenz ausschließlich von einer solchen Duldung abhängig war, wenn das eigene Leben stets an einem hauchdünnen Faden hing, der mit nichts weiter als ein paar scharfen Worten durchgeschnitten werden konnte wie mit einer Schere, dann konnte einem beim besten Willen nicht allzu sehr vor etwas grauen, was hinter zwei verriegelten Stahltüren verborgen war.
    Erika öffnete die zweite Tür, und in dem Raum dahinter schalteten sich automatisch Lampen an. Sie schritt über die Schwelle und befand sich in einem behaglichen viktorianischen Salon.
    Der fensterlose Raum maß knapp fünfzig Quadratmeter und hatte einen auf Hochglanz polierten Mahagoniboden, auf dem ein antiker Perserteppich lag, und eine Kassettendecke, ebenfalls aus Mahagoni. Die Wände waren mit William-Morris-Tapeten beklebt, und der Kamin mit der Einfassung aus schwarz gebeiztem Walnussholz war mit William-de-Morgan-Kacheln ausgekleidet.
    Eingerahmt zwischen zwei Stehlampen mit Schirmen aus Schantungseide und Fransen bot ein prall gepolstertes Sofa mit dekorativen Kissen, deren Bezüge japanische Motive aufgriffen, Victor einen Ort, an dem er sich behaglich ausstrecken konnte, falls er das wünschen sollte, aber nicht etwa, um ein
Nickerchen zu machen (malte sie sich aus), sondern um sich zu entspannen und seinen brillanten Verstand neue Pläne aushecken zu lassen, die einzig und allein einem Genie wie ihm einfallen konnten.
    Auf einem Ohrensessel mit Fußschemel konnte er, sollte er das wünschen, in aufrechter Haltung unter einer Stehlampe nachsinnen, deren Schirm mit Perlen besetzt war.
    Sherlock Holmes hätte sich in einem solchen Zimmer wohl gefühlt. Oder auch H. G. Wells oder G. K. Chesterton.
    Ein riesiger Glasbehälter, zwei Meter siebzig lang, einen Meter fünfzig breit und knapp einen Meter hoch, zog den Blick sowohl von dem klobigen Sofa als auch von dem Sessel auf sich.
    Es war nach Kräften dafür gesorgt worden, dass sich dieser Behälter unauffällig in die viktorianische Einrichtung einfügte. Er stand auf einer Reihe von verschnörkelten Bronzefüßen. Die sechs Glasscheiben waren an den Kanten facettiert, um das Licht zu brechen, und steckten in einem kunstvoll verzierten Rahmen aus herrlich getriebener vergoldeter Bronze. Es sah aus wie ein riesiger Schmuckkasten.
    Das Gefäß war mit einer halbtransparenten rötlich goldenen Substanz gefüllt, die sich einer genauen Bestimmung durch das Auge widersetzte. Im einen Moment schien es sich bei diesem Stoff um eine Flüssigkeit zu handeln, von einer sanften Strömung bewegt, doch schon im nächsten Augenblick schien es vielmehr ein dichter Dunst zu sein, vielleicht ein Gas, Dämpfe, die träge gegen das Glas wogten.
    Geheimnisvollerweise zog dieser Gegenstand Erika ebenso unwiderstehlich an, wie Draculas glänzende Augen Mina Harker in ihr potentielles Verderben gelockt hatten, in einem Roman, der sich als Quelle für literarische Bezugnahmen auf einer förmlichen Abendgesellschaft im Garden District wohl kaum jemals eignen würde, der aber dennoch zum Repertoire ihrer Downloads gezählt hatte.

    Die Flüssigkeit oder der Dampf absorbierte das Lampenlicht und nahm einen warmen Schimmer an. Dieses Leuchten von innen heraus enthüllte einen dunklen Umriss, der in der Mitte des Gefäßes schwebte.
    Erika konnte noch nicht einmal vage Details erahnen, doch aus irgendwelchen Gründen dachte sie an einen Skarabäus, der in uraltem Harz versteinert war.
    Als sie sich dem Gefäß näherte, schien der Schatten in seiner Mitte zu zucken, aber höchstwahrscheinlich hatte sie sich diese Bewegung nur eingebildet.

39
    Vom Stadtpark fuhr Carson zum Garden District, weil sie sich die Straßen in der näheren Umgebung von Helios’ Villa genauer ansehen wollte.
    Sie waren zwar noch nicht so weit, sich einen Weg in die Villa zu schießen und Jagd auf Frankenstein zu machen, aber sie mussten sich eingehend mit der Gegend vertraut machen und Fluchtwege für den – eher unwahrscheinlichen – Fall finden, dass sie es schafften, nicht nur Victor zu töten, sondern zudem noch lebend sein Haus zu

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