Die Kreatur
wusste von dem anderen, was seinem Wesen zugrunde lag, wenngleich Pater Duchaine keine Einzelheiten über die Erschaffung seines Gasts bekannt waren.
»Was ist mit deinem Gesicht passiert?«, fragte er.
»Ich habe meinen Schöpfer erzürnt und versucht, die Hand gegen ihn zu erheben. Er hatte jedoch eine Vorrichtung in meinem Schädel angebracht, von der ich nichts wusste. Er trug einen ganz besonderen Ring, der ein Signal aussenden konnte, um diese Vorrichtung auszulösen.«
»Jetzt werden wir darauf programmiert, uns selbsttätig auszuschalten wie sprachgesteuerte Geräte, wenn wir gewisse Worte in seinem unverwechselbaren Tonfall hören.«
»Ich stamme aus einer primitiveren Schaffensperiode. Die Vorrichtung in meinem Schädel war dazu gedacht, mich zu zerstören. Sie hat halbwegs funktioniert und mich noch offensichtlicher zum Monster gemacht.«
»Die Tätowierung?«
»Gut gemeint, aber als Tarnung ungenügend. Den größten Teil meines Lebens habe ich im Monstrositätenkabinett verbracht und bin mit Schaustellern und dergleichen durch die Gegend gezogen, wo fast jeder auf die eine oder andere Weise ein Ausgestoßener ist. Aber bevor ich nach New Orleans gekommen
bin, habe ich ein paar Jahre in einem tibetanischen Kloster verbracht. Ein Freund von mir, ein Mönch, hat seine Kunstfertigkeit an meinem Gesicht erprobt, bevor ich von dort fortgegangen bin.«
Nachdem er bedächtig einen Schluck von seinem bitteren Gebräu getrunken hatte, sagte der weißhaarige Geistliche: »Wie primitiv?«
Deucalion zögerte, seine Ursprünge preiszugeben, doch dann wurde ihm klar, dass seine ungewöhnliche Körpergröße, das periodische Pulsieren in seinen Augen, das wie Wetterleuchten wirkte, und der grässliche Zustand seines Gesichts ohnehin ausreichten, um ihn zu identifizieren. »Vor mehr als zweihundert Jahren. Ich bin sein Erster.«
»Dann ist es also wahr«, sagte Duchaine, und eine noch größere Trostlosigkeit verfinsterte seine Miene. »Wenn du der Erste bist und trotzdem schon so lange lebst, dann kann es tatsächlich sein, dass wir tausend Jahre halten und dass diese Erde unsere Hölle ist.«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Ich habe nicht deshalb Jahrhunderte lang gelebt, weil er damals schon wusste, wie er Unsterblichkeit in mir anlegen könnte. Meine Langlebigkeit und vieles andere sind mir durch den Blitz verliehen worden, der mich zum Leben erweckt hat. Er glaubt, ich sei schon lange tot … und er hegt nicht den geringsten Verdacht, dass ich eine Bestimmung haben könnte.«
»Wie meinst du das … der Blitz?«
Deucalion trank von dem Kaffee. Nachdem er seinen Becher wieder auf den Tisch gestellt hatte, saß er eine Zeit lang schweigend da, bevor er sagte: »Blitze sind lediglich ein meteorologisches Phänomen, und doch beziehe ich mich auf mehr als nur eine Gewitterwolke, wenn ich sage, der Blitz, der mich belebt hat, entstammte einem höheren Reich.«
Während Pater Duchaine über diese Enthüllung nachdachte, stieg in sein bislang so bleiches Gesicht eine Spur von Farbe.
»›Die Langlebigkeit und vieles andere‹ sind dir durch den Blitz verliehen worden? Vieles andere … und eine Bestimmung? « Er beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Willst du mir damit sagen … dass dir eine Seele gegeben worden ist?«
»Ich weiß es nicht. Diese Behauptung könnte für einen von meiner elenden Herkunft verstiegen sein und von unverzeihlichem Stolz künden. Mit Sicherheit kann ich nur sagen, dass es mir gewährt worden ist, so manches zu wissen, dass ich mit einem gewissen Verständnis der Natur und ihrer Wirkungsweise gesegnet bin, mit einem Wissen, das selbst Victor niemals erlangen wird und auch sonst keiner diesseits des Todes.«
»In dem Fall«, sagte der Geistliche, »sitzt vor mir eine Erscheinung. « Er zitterte so heftig, dass der Becher zwischen seinen Händen auf dem Tisch klapperte.
Deucalion sagte: »Falls du mit der Zeit begonnen hast, dich zu fragen, ob an dem Glauben, den du predigst, etwas Wahres ist – und ich habe den Verdacht, du hast dir diese Frage trotz deiner Programmierung gestellt –, dann hast du ohnehin die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass stets und zu jeder Stunde ein unsichtbarer Geist bei dir weilt.«
Duchaine warf seinen Stuhl fast um, als er aufsprang und sagte: »Ich fürchte, ich brauche etwas Stärkeres als Kaffee.« Er ging in die Speisekammer und kam mit zwei Flaschen Brandy zurück. »Bei unserem Stoffwechsel ist eine ganze Menge nötig, um den
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