Die Kreatur
könnte ein geeigneter Zeitpunkt sein, um sich tiefer ins Haus hineinzuwagen und sich auf die Suche nach Arnie O’Connor zu machen. Das Ziel seiner Gralssuche ist in Reichweite gerückt: der lächelnde Autist, der das Geheimnis des Glücks besitzt.
Die Frau am Herd fasziniert ihn jedoch noch viel mehr, denn sie muss Arnies Mutter sein. Carson O’Connor ist die Schwester des Jungen, aber das hier ist nicht Carson, nicht die Person auf dem Zeitungsfoto. In einer Familie der Alten Rasse gibt es ganz bestimmt eine Mutter.
Randal sechs, Kind der Barmherzigkeit , hat bisher noch nie die Bekanntschaft einer Mutter gemacht. Unter den Angehörigen der Neuen Rasse gibt es kein solches Geschöpf. Stattdessen gibt es den Tank.
Was vor ihm steht, ist nicht nur eine Frau. Dies ist ein absolut mysteriöses Wesen, das in seinem eigenen Körper menschliches Leben hervorbringen kann, ohne auf die Grauen erregenden Apparaturen zurückzugreifen, die erforderlich sind, um einen Angehörigen der Neuen Rasse im Labor zu produzieren.
In einer späteren Zeit, die in nicht allzu ferner Zukunft liegt, nämlich dann, wenn die Alte Rasse bis auf den Letzten ausgerottet ist, werden Mütter wie diese Frau mythologische Gestalten sein, Wesen, um die sich Sagen und Legenden ranken. Er kann nicht anders, als sie voller Verwunderung zu betrachten.
Sie weckt die eigenartigsten Gefühle in Randal sechs. Eine unerklärliche Ehrfurcht.
Die Gerüche, die Geräusche und der Zauber dieser wunderschönen Küche locken ihn unbeirrbar an.
Als sie sich vom Herd abwendet und sich vor ein Schneidebrett neben der Spüle stellt, wobei sie immer noch leise vor sich hin singt, nimmt die Frau ihn erstaunlicherweise nicht aus dem Augenwinkel wahr.
Im Profil, während sie singt und das Abendessen zubereitet, scheint sie unfassbar glücklich zu sein, sogar noch glücklicher, als Arnie auf dem Foto wirkte.
Als Randal die Küche erreicht, geht ihm auf, dass diese Frau möglicherweise das Geheimnis von Arnies Glück ist. Vielleicht ist es das, was man zum Glück braucht: eine Mutter, die einen in sich getragen hat und die einen, ganz gleich, was geschieht, so hoch schätzt wie ihr eigenes Fleisch.
Seinen Schöpfungstank hat Randal sechs vor vier Monaten zum letzten Mal gesehen, an dem Tag, an dem er ihm entstiegen ist. Es gibt keinen Grund für ein Wiedersehen.
Als sich die Frau von ihm abwendet und wieder zum Herd geht, ohne seine Anwesenheit bisher bemerkt zu haben, wird Randal von Gefühlen bestürmt, die er nie zuvor erlebt hat und
die er nicht benennen kann, denn ihm fehlen die Worte, um sie zu beschreiben.
Er verspürt ein übermächtiges Verlangen, aber es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wonach er sich so schrecklich sehnt. Diese Frau zieht ihn an wie die Schwerkraft einen Apfel, der vom Baum fällt.
Als er die Küche durchquert, um auf sie zuzugehen, wird Randal eines klar, was er wirklich will: Er will sich in ihren Augen gespiegelt sehen, sein Gesicht in ihren Augen.
Er weiß selbst nicht, warum .
Und er will, dass sie ihm das Haar aus der Stirn streicht. Er will, dass sie ihn anlächelt.
Er weiß selbst nicht, warum .
Er bleibt dicht hinter ihr stehen, und ein Gefühlsüberschwang, der sich nie zuvor in ihm geregt hat, lässt ihn zittern – Empfindungen, von denen ihm nie klar war, dass er zu ihnen fähig sein könnte.
Im ersten Moment nimmt sie seine Anwesenheit immer noch nicht wahr, doch dann merkt sie etwas. Sie dreht sich alarmiert um und schreit vor Überraschung und Furcht auf.
Sie hält ein Messer in der Hand, das sie vom Schneidebrett zum Herd mitgenommen hat.
Obwohl die Frau nicht den geringsten Versuch unternimmt, es als Waffe zu benutzen, packt Randal es mit seiner linken Hand an der Klinge, wobei er sich eine tiefe Schnittwunde zuzieht, entreißt ihr das Messer und schleudert es quer durch die Küche.
Mit der rechten Faust versetzt er ihr einen Hieb gegen die Schläfe und schlägt sie zu Boden.
41
Im Anschluss an die Abendandacht beobachtete Deucalion, wie Pater Patrick Duchaine starken schwarzen Kaffee in zwei Becher goss. Ihm waren Sahne und Zucker angeboten worden, doch er hatte abgelehnt.
Als sich der Geistliche Deucalion gegenüber an den Tisch setzte, sagte er: »Ich mache ihn so stark, dass er fast bitter schmeckt. Ich habe eine Vorliebe für das Bittere.«
»Ich habe den Verdacht, das geht uns allen so«, sagte Deucalion. Längere Vorreden waren bereits im Beichtstuhl überflüssig gewesen. Jeder von beiden
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