Die Kreuzfahrerin
auch mit großem Verhandlungsgeschick erobert. Den Seldschuken und ihren Befehlshabern hatte Alexios freien Abzug gewährt, und so waren die Feinde, ohne einen Tropfen Blut zu opfern, verschwunden. Nun waren die Ritterheere vor der Stadt ihrer Beute beraubt. Nicht wenige hatten sich bereits in den Mauern reichliche Beute an Essen und Trinken und auch Geld und Schmuck erhofft. Doch die Heerführer hatten sich bereits in Konstantinopel dem Kaiser gebeugt und Lehenstreue geschworen. So war Nikaia plötzlich nicht mehr eine Stadt der Feinde, sondern Teil des byzantinischen Reiches. Die Wut schwappte durch das Lager wie eine Flutwelle, und nicht wenige Männer hätten die Stadt jetzt erst recht angegriffen. Doch die Mauern waren nach wie vor schwer einnehmbar, und auf ihnen thronten nun die Soldaten des Kaisers.
Auch in den folgenden Tagen wurde das Murren in den Heeren nicht weniger. Zwar brauchte man jetzt nicht zu kämpfen, aber mit der Entsatzung der Stadt und dem Öffnen der Tore hatten die Einwohner und Händler in weiser Weitsicht die Preise für alles verdoppelt. So mussten die Ritter all das, was sie dringend brauchten und nicht hatten erobern können, obendrein auch noch doppelt bezahlen. Etwas Ruhe kehrte erst dadurch ein, dass, so konnte Ursula es von einem Knappen erfahren, der Kaiser den wallfahrenden Heeren Verstärkung durch seine eigenen Truppen und seinen angesehenen Heerführer Tatikios auch auf dem weiteren Weg zusagte. Da nun an diesem Ort nichts mehr zu holen war, bliesen die Hörner aller Züge wieder zum Aufbruch. Hilde und Ursula beeilten sich, ihren Karren zu bepacken, doch als sie bereit waren, loszuziehen, trat eine Verzögerung ein. Um den riesigen Heerzug besser versorgen zu können, hatten die hohen Herren beschlossen, die Heere und ihren Tross zu trennen. Die Griechen unter Tatikios und die Normannen Bohemunds sollten zusammen vormaschieren, die restlichen Heere würden dann mit etwa einem halben Tag Abstand folgen. Hilde und Ursula, die seit Nikaia bei den Normannen ihr Zelt aufgeschlagen hatten, zogen mit der Vorhut los.
Der Weg wurde immer beschwerlicher, und einen ausreichenden Lagerplatz zu finden, war unmöglich. Nacht für Nacht blieben alle, wenn abends die Hörner das Signal zur Rast gaben, dort, wo sie gerade waren, stehen, suchten sich in näherer Umgebung etwas Holz für das Feuer und ließen sich auf dem Weg nieder. Wohl fühlte sich niemand dabei. Immer wieder drangen Gerüchte bis an die Ohren der Frauen, dass Kundschafter häufig Späher und kleinere Gruppen Seldschuken gesichtet hätten. Und all die Ritter und Pilger in dem langgezogenen Tross, dessen Anfang Ursula selbst dann, wenn sich die Menschen in mehreren Windungen einen Hang hinabbewegten, genauso wenig sehen konnte wie dessen Ende, fürchteten die ganze Zeit einen Angriff auf die schutzlosen Flanken des Zuges.
Dorylaeum,
1. Juli 1097
Sie waren bereits einige Tage von Nikaia entfernt, da tat sich vor ihnen ein breites Tal auf. Bohemund und Tatikios ließen ihre Reiter aufschließen. Da es nun mehr Platz gab, nebeneinander zu reiten, wollten sie ihren Heerzug so verkürzen und kompakter machen. Ganz vorne ritten mehr als zwanzig Reiter nebeneinander, gefolgt von mehreren gleichstarken Reihen. Die Flanken des Zuges wurden von einer langen Doppelreihe Ritter gesichert. Auch nach hinten begaben sich Ritter. Die Kampfrösser, die Ersatzpferde und alle anderen Tiere, die mitzogen, wurden ganz in die Mitte genommen. Um sie herum formierten sich berittene Knappen und das Fußvolk. Hinter den Tieren folgten die Wagen der Ritter und der übrige Tross. Sie hatten die Mitte des Tales noch nicht erreicht, als einige Späher herangeprescht kamen. Im Tal erkannte Ursula eine Staubwolke. Laut und erschreckend erschollen die Hörner. Sie wurden angegriffen. Ursula sah sich wild um: Von wo kam der Feind? Da verdunkelte schon die erste Wolke Pfeile den Himmel über ihnen. Warnungen wurden gebrüllt, und wer ein Schild besaß, riss es hoch. Ein Geschoss schlug direkt vor Ursulas Füßen in den Boden ein. Schon waren erste Schmerzensschreie zu vernehmen. Die Soldaten brüllten Befehle. So gut es in dem allgemeinen Durcheinander des ersten Schreckens ging, wurden die Wagen schützend um die Tiere herumgestellt. Ursula und Hilde fanden eine Lücke zwischen zwei Wagen und schoben ihren Esel hindurch. Ihr Karren hatte die richtige Größe, diese Lücke zu verschließen. Nervös und aufgeregt rumorten die eingepferchten Tiere. Hilde
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