Die Kreuzfahrerin
können wir sehen, was für uns übriggeblieben ist.“ Sie wusste, wenn sie ihr Gefährt einfach am Rande des Schlachtfeldes stehenließen, würde innerhalb kürzester Zeit nichts mehr davon übrig sein. In der Nähe der Krieger, die sie mittlerweile kannten, war ihr Hab und Gut allerdings sicher. Ursula lief hinter der Freundin her, die dem Esel ordentlich eine auf das Fell gebrannt hatte, damit sich dieser in eiligen Trab setzte. Was hatte Hilde vor? Ursula konnte sich keinen Reim auf Hildes Aussage machen. Als sie den Esel schweißnass bei den Normannen abstellten, die damit begannen, ihr Heerlager zu errichten, klärte Hilde sie auf. „Die meiste Beute haben die Ritter und ihr Fußvolk bereits eingesammelt, aber denen geht es vor allem um Waffen, Rüstungen und all das, was die Feinde in ihrem Lager zurückließen. Doch zwischen all den gefallenen Kriegern sind vielleicht noch welche, denen zu helfen ist, und manchmal findet man rein zufällig einen Wasserschlauch, ein Säckchen Getreide oder was sonst noch von Nutzen sein kann.“
Ursula schaute Hilde mit großen Augen an. „Du willst die Toten bestehlen?“
„Nein, bestehlen kann man nur jemanden, der es auch bewachen kann. Tote brauchen nichts mehr, und ihre Habe ist für sie ohne Bedeutung. Wir räumen lediglich auf. Schau, meine Schuhe sind völlig zerrissen und kaputt von den Felsen. Wenn ich auf dem Feld etwas Besseres für meine Füße finde, ist das nur recht. Einen Körper ohne Leben wird Schuhwerk nirgendwo hintragen. Soll ich barfuß gehen und zuschauen, wie das, was ich bräuchte, vergraben oder verbrannt wird?“
„Aber …“ Ursula kam nicht weiter, der Knappe von vorhin war wieder bei ihnen und riss das Wort an sich: „Aber, aber. Kein aber, der Papst selbst hat uns in Clermont zugesichert, dass wir uns von den Feinden Christi nehmen dürfen, was wir brauchen. Also zier dich nicht länger und komm. Ich gehe mit euch.“
Ursula fügte sich, eilte hinter dem Mann und Hilde her auf das Feld. Bei sich allerdings nahm sie sich vor, lediglich nach Verletzten Ausschau zu halten und ihnen, wenn sie konnte, zu helfen. Je weiter sie auf das Schlachtfeld vordrangen, desto grausiger war, was Ursula zu sehen bekam. Sie sah Wunden, tief und groß, aus denen dunkelrot der Lebenssaft floss. Ohne Unterschied zwischen Mensch und Tier hatte sich der Tod über das Tal ausgebreitet. Noch konnte man ab und an Ächzen und Stöhnen oder auch kindliches Wimmern hören, das Verletzte von sich gaben. Überall lagen die Körper von Kämpfern beider Seiten herum. Teilweise häuften sie sich übereinander. Sie mussten, bevor sie selbst zu Tode gekommen waren, auf den Körpern der Gefallenen weitergestritten haben. Behutsam schritt Ursula zwischen den Leichen hindurch, ständig auf der Suche nach einem Fleckchen Erde, auf das sie ihren Fuß setzen könnte. Sie blieb stehen und sah sich um. Die anderen hatten ihre Skrupel nicht. Sie stiegen auf den Körpern umher, als seien es Strohballen oder Felsen. Selbst Kinder sah sie, die Pfeile einsammelten und sich auf die Brust eines Toten stellten, um ein Geschoss herauszuziehen. Ursula wollte aber weder fleddern noch plündern, sie wollte helfen. Ihres Ansinnens wieder gewahr schaute sie sich nun die Umherliegenden genauer an und begann, zwischen den eigenen Leuten und den Feinden zu unterscheiden. Plötzlich hörte sie neben sich zu ihren Füßen ein Stöhnen. Das Gesicht fast an ihrem Rocksaum, lag da ein Fremder; an dem Stoff um seinen Kopf erkannte sie den Feind, aber weitergehen, ohne ihn zu beachten, konnte sie nicht. Er lebte noch, und vielleicht konnte sie ihm helfen. Ursula ging in die Hocke, beschaute sich den Mann genauer, sie konnte keine Verletzung entdecken. Vielleicht war er einfach nur völlig erschöpft und am Ende. Sie nahm ihren Wasserschlauch, wollte ihm den Kopf anheben, um ihm das Trinken zu erleichtern. Als sie ihre Hand unter den Hinterkopf des Mannes schob, lief es ihr warm über die Finger, als würde sie einen Badeschwamm ausdrücken. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück und starrte auf das Blut, das jetzt ihren Unterarm hinablief. Im Augenwinkel sah sie noch die schnelle, kurze Bewegung des Mannes, doch da hatte sich seine Pranke bereits um ihren Hals gelegt. Ursula wollte schreien, aber die Hand drückte fest zu, und sie bekam ebenso wenig einen Laut heraus wie Atemluft in sich hinein. Mit aller Kraft zerrte sie am Unterarm des Heiden, um sich zu befreien, schon spürte sie in ihren
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