Die Kreuzfahrerin
der Mann den Griff zwischen den Zähnen hatte, brach Ursula mit einer schnellen Bewegung den Pfeilschaft ab. Sie wartete gar nicht erst, bis sich der Ritter vor Schmerz aufbäumen konnte, und schlug mit einem faustgroßen Stein auf den aus dessen Schenkel noch hervorschauenden Rest des Pfeiles. Der Knappe hatte alle Mühe, den Ritter zu bändigen. „Halt still!“, brüllte Ursula den Mann an. „Es ist gleich geschafft.“ Ursula umfasste die Spitze des Pfeils, der auf der Rückseite des Schenkels ausgetreten war, mit einem Tuch. Dann hob sie das Bein des Mannes und stemmte sich mit einem Fuß dagegen. Mit einem kräftigen Ruck riss sie den Rest aus der Wunde. Der Ritter verlor das Bewusstsein. Der Knappe schaute Ursula bestürzt an. „Du kannst ihn loslassen. Schnell, habt ihr Tuch auf dem Wagen?“
Der Kerl nickte und kletterte hinter dem Ritter hervor. Kurz darauf reichte er Ursula etwas Stoff. Ursula riss ihn in Streifen und verband das Bein des Ritters. Rechts und links von sich konnte sie sehen, wie immer mehr Männer hinter die Wagen gebracht wurden. „Wasser!“, kam erneut der Ruf aus den Reihen der Kämpfenden. Hilde und Ursula machten sich wieder auf den Weg. Diesmal hatte jede ihren eigenen Schild. Doch Ursula hatte die Wucht der Pfeile unterschätzt. Ein Geschoss, das ihren Schutz traf, riss ihr den Schild beinahe aus der Hand. Auf dem Rückweg hängte sie ihn sich über den Rücken, so wie sie es bei einigen Rittern gesehen hatte. Der ganze Tross war jetzt in eine dichte Staubwolke eingehüllt, die die Hufe der immer wieder heranpreschenden Reiter aufwirbelte. Als Ursula hinter den Wagen kroch, ergriff eine Faust ihr Handgelenk. Erschrocken fuhr sie herum und sah in das grinsende Gesicht des Normannen, dem sie den Pfeil entfernt hatte. „Danke“, sagte er schlicht und reichte Ursula seinen Schlauch. Ursula war von der Aufregung, dem Rennen und dem Staub sehr durstig. Sie setzte an und hatte schon mehrmals geschluckt, als sie merkte, dass es kein Wasser, sondern Wein war. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, es fließe wie heißes Blut durch ihre Adern, doch dann fühlte sie sich gestärkt. Der Mann nahm den Schlauch wieder an sich und ließ sie los. Er lächelte noch immer. Und Ursula wusste nun auch, warum.
Die Seldschuken schienen zu glauben, das gesamte Wallfahrerheer eingekesselt zu haben. Wer, wenn er nicht von den Zinnen Konstantinopels aus die Verschiffung aller Ritter mit angesehen hatte, hätte sich auch vorstellen können, dass die Pilgerheere mehr als doppelt so groß waren wie die Vorhut aus Normannen und Griechen? Sie ritten immer noch um die Eingekesselten herum, als diese bereits in der Ferne den erlösenden Klang der fränkischen Hörner hörten. Die gepanzerten Ritter und alles Fußvolk des nachfolgenden Heerzuges hatten sich bereits in Bewegung gesetzt. Aufgereiht über die ganze Breite des Tals stürmten sie heran, und so, wie Wasser in einer Rinne den Staub wegspült, drangen die gepanzerten Reiter der Franken in mehreren Reihen vor und spülten die erschrockenen Feinde vor sich her. „Deus lo vult!“, brüllten die Befreiten, und die Ritter hetzten zu ihren gesattelten Schlachtrössern. „Deus lo vult!“, brüllten mehr als zehntausend Männerkehlen und setzten den Seldschuken hinterher. „Deus lo vult!“, schrien nun auch die Frauen und Kinder, kletterten auf die Wagen und sahen den Rittern hinterher. Zuletzt versank alles in einer noch größeren Staubwolke, die die Kämpfe Mann gegen Mann aufwirbelten. Ursula und mit ihr alle anderen saßen erschöpft zwischen den Wagen und hörten nur noch das Brüllen und Schreien der Kämpfenden. Es dauerte erstaunlicherweise gar nicht lange, bis sich die ersten Reiter aus der Staubwolke lösten, ihnen entgegenritten und den Sieg verkündeten. „Deus lo vult!“, ertönte es wie bei Schlachtbeginn nun als Siegesruf aus allen Kehlen. Ein Knappe, dem Hilde Wasser zu trinken gab, berichtete außer Atem, dass die Ungläubigen vernichtend geschlagen worden waren und die Flucht ergriffen hätten, und dass den Heeren die gesamten Vorräte, Tiere und Schätze der feindlichen Kriegsmacht in die Hände gefallen waren. Jetzt würden die Krieger sich sammeln, um die Beute gerecht zu verteilen. Das Volk dürfe nun auf das Feld gehen, Verwundete bergen und, was sonst noch übrig war, einsammeln.
„Komm, Ursula, rasch.“ Hilde trieb jetzt zur Eile an. „Wir müssen zu den Normannen, dort sind unser Esel und der Karren sicher. Dann
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