Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kreuzfahrerin

Die Kreuzfahrerin

Titel: Die Kreuzfahrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nowicki
Vom Netzwerk:
sie uns noch das Leder unserer Sohlen abnagen.“ Flüchtig drückte er seine Wange an Ursulas und eilte hinter dem Knappen aus dem Zelt.
    Die eingetretene Stille hielt eine ganze Weile an. Beide Freundinnen nippten an ihren Bechern und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Ursula sah sich in ihrem Zelt um. Es herrschte ein enormes Durcheinander. Seit zwei Tagen hatte sich niemand wirklich mehr um Ordnung und Sauberkeit geschert. Ihre Lager, die auf Stroh ausgebreiteten Felle und Decken, waren zerwühlt, und zusätzlich lagen Kleidungsstücke kreuz und quer auf ihnen herum. Die Taschen und Truhen, die sie auf ihrem kleinen Wagen mit sich führten, standen alle offen, und ihr Inhalt war halb ausgeräumt. Nur die Kiste, in der Hilde und sie den Schmuck und das Geld verwahrten, das sie zu großen Teilen geschenkt bekommen hatten, wovon aber auch das eine oder andere Stück einem toten Heiden vom Finger gezogen worden war, stand verschlossen in einer Ecke. Um nicht als gemeine Huren zu gelten, schmückten beide sich nicht mit Beutegut, sondern trugen nur sehr wenig Schmuck. Auch ihre Kleidung hielten sie einfach und ohne bunte Bänder. Sicher, auch sie waren nicht abgeneigt gewesen, von Zeit zu Zeit mit einem einigermaßen ansehnlichen und manierlichen Kerl das Lager zu teilen, wenn dabei noch ein entsprechendes Geschenk damit verbunden war, aber sie hielten sich das Recht vor, nicht jeden zu nehmen. Noch in der Heimat hatten sie klargestellt, dass ihre Beteiligung am Pilgerzug vor allem der Unterstützung all der Wundärzte, Knochensäger und Bader dienen sollte. Ihr Vorrat an Kräutern und das Wissen über deren Nutzen waren ihre vorrangige Ware gewesen. Das andere kam später zwangsläufig hinzu. Seit Ursula allerdings Roderich getroffen hatte, hielt sie sich völlig raus. Als hätten beide das gleiche gedacht, erhob sich Hilde nun mit einem tiefen Seufzer: „Hier muss dringend Ordnung geschaffen werden. Was sollen denn die Kerle denken, die ihre Köpfe zu uns hereinstecken? Die fallen rückwärts wieder raus und nehmen aus Angst vor Ungeziefer und Krankheit die Beine in die Hand.“
    Ursula musste wieder lachen. Auch sie erhob sich und half der Freundin, Tücher, Kleider und Hausrat zu verräumen. Sollten sie wirklich bald weiterkommen, war es nur gut, wenn das meiste an seinem Platz war. Während Hilde nun kaum noch in ihrer Räumwut zu bremsen war, versiegten Ursulas Kräfte doch schon bald. Das häufige Bücken bereitete ihr mehr und mehr Mühe, und sie musste öfters innehalten und tief durchatmen. Ein stechender Schmerz in der Seite stieß sie schließlich zurück auf den Hocker. „Puh!“, stöhnte sie auf und sackte auf den Schemel. Der Freundin, die sich ihr sofort zugewandt hatte, lächelte sie gequält entgegen. „Ich glaube, da hat jemand etwas gegen all die Bewegung. Es hat mich heftig getreten und so seinen Unmut kundgetan.“
    „Leg dich hin und ruh dich aus“, bestimmte Hilde. „Den Rest schaffe ich auch allein. Du musst wirklich etwas mehr auf dich achten.“
    Dankbar nahm Ursula den Vorschlag an und ließ sich vom Schemel auf das nahe Lager rutschen. Ein dünnes Tuch reichte ihr im Moment als Decke. Für später, wenn dann die nächtliche Kälte in das Zelt kroch, hatte sie die schwere, dichtgewebte Wolle gleich neben sich. Beruhigt schloss sie ihre Augen und fiel sogleich in einen heilsamen Schlaf.
    Die Unruhe in ihrem Leib, der nachhallende Schmerz und das Bewusstsein der nahen Geburt brachten sie in ihren Träumen zurück auf den Hof des Bauern Matthes.

Auf dem Hof des Bauern Matthes,
Sommer 1094
    Es war Sommer, die anstrengendste Zeit, neben der Versorgung des Viehs, dem Weiden und Heimholen der Rinder, musste geerntet werden, und immer wieder, sobald das Wetter es erlaubte, wurde Heu gemacht. Tagelang standen sie gebückt auf den Feldern und schnitten mit Messern und Sicheln Gras und Korn. Abends konnte man sich fast nicht mehr aufrichten. Alle waren deutlich gezeichnet von der Müdigkeit. Nach einem sonnigen Tag auf den Wiesen stand Ursula jetzt in der Scheune und war damit beschäftigt, das eingefahrene Heu zu verdichten, indem sie es zuerst auftürmte und dann mit den Beinen zusammendrückte. Es war unerträglich heiß unter dem Dach der Scheune. Ihr Kleid klebte ihr am Körper, und sie bekam in all dem Staub nur schwer Luft. Plötzlich bekam sie einen derben Stoß und fiel vornüber auf das von ihr aufgehäufte trockene Gras. Blitzartig drehte sie sich herum. Über ihr stand Ludger mit

Weitere Kostenlose Bücher