Die Kreuzfahrerin
Bewegung neben sich im nahen Wald. Ihre Laune wurde immer schlechter, je mehr sie mit ihren Lasten zu kämpfen hatte. Ihr war, als käme sie kein Stückchen voran. Der Pfad schmiegte sich nun näher an den Wald, und unter den ausladenden Ästen der Bäume fand sie ein wenig Schutz vor dem Regen. Ihr Bündel schien allerdings bereits durch und durch feucht zu sein. Auf jeden Fall war es schwerer geworden. Plötzlich raschelte es direkt vor ihr im Unterholz, und unvermittelt sprang ihr jemand in den Weg. Ursula schrie auf. Erst als sie sich die Haare aus der Stirn strich, erkannte sie Arnulf. Außer Atem stand er vor ihr. „Vor wem rennst du weg?“, fragte er.
„Ich renne doch gar nicht.“
„Doch, ich versuche schon seit einiger Zeit, dich einzuholen.“
„Das ist aber kein Grund, mich so zu erschrecken. Was willst du?“
„Komm hier unter den Baum, da ist es trocken“, sagte der Junge und zog sie mit sich unter das dichte Blattwerk einer Buche. Nahe am Stamm kniete er sich nieder und zog sie zu sich herunter.
„Ich wollte dir das hier geben“, sagte er und zog den breiten Lederriemen einer Tasche über seinen Kopf und reichte sie ihr. Sie war aus der Haut eines Rindes gefertigt, an der Außenseite waren noch vereinzelt Haare des Fells zu erkennen. Eigentlich bestand sie aus einem einzigen Streifen Kuhhaut, der etwas breiter war als ihr Unterarm bei ausgestreckter Hand. An ihm waren auf beiden Seiten Streifen von doppelter Handbreite genäht, so dass nur eine Öffnung nach oben blieb, über die man das Leder schlug, das man dann mit zwei Lederschlaufen und einem an einer Schlaufe befestigten Holzknebel verschließen konnte. Sie war so groß, dass leicht zwei ganze Laibe Brot darin Platz gehabt hätten. Ursula kannte die Tasche. Arnulf hatte sich ihrer immer bedient, wenn er die Brotzeit auf das Feld bringen musste.
„Hier“, sagte er jetzt. „Tu deine Sachen da hinein, da werden sie nicht nass.“
Ungläubig sah Ursula dem Knaben ins Gesicht. Der presste ihr die Tasche aber nur mit erneutem Nachdruck an die Brust. „Nimm schon.“
„Danke.“ Von Herzen kam es aus Ursulas Mund. „Danke, Arnulf. Das ist aber ein sehr großzügiges Geschenk.“
„Du brauchst jetzt eine Tasche mehr als ich. Ludger ist so gemein. Ich weiß, dass er bei dir gelegen hat.“
Ursula sah von der Tasche wieder auf, Arnulf erstaunt ins Gesicht. „Woher?“, fragte sie schlicht.
„Ich habe euch einmal gesehen. Ich habe es auch Mutter gesagt, aber sie hat gesagt, ich soll meinen Mund halten und nie wieder davon anfangen.“
Ursula presste wütend die Lippen zusammen. Die Augen ihres Gegenübers waren traurig.
„Ist schon gut, Arnulf. Du kannst nichts dafür. Es soll so sein“, versuchte Ursula ihn zu trösten.
„Wenn ich älter wäre“, stotterte der Junge, „wenn ich älter wäre, ich würde dich zur Frau nehmen. Ich muss den Hof eh verlassen und mir ein Weib auf einem Hof ohne Sohn oder im Dorf suchen.“
Gerührt strich Ursula ihm über die Wange. Da schien Arnulf noch etwas einzufallen. „Hast du ein Messer?“
Ursula zog ihr Messer aus der Tasche, mit dem sie immer Kräuter sammelte. Es hatte einen Holzgriff und eine kurze Klinge aus Bein. Zum Kräuter- und Pilzesammeln reichte es aus. Arnulf verzog das Gesicht. „Das ist doch kein Messer. Hier nimm das.“ Er zog das Messer hervor, das ihm der Bauer gerade erst im Frühjahr vom Markt mitgebracht hatte. Ursula wusste, es war sein wertvollster Besitz. „Nein Arnulf, das geht nicht. Das ist viel zu wertvoll.“
„Doch nimm es. Du musst eine richtige Klinge haben. Schau, sie ist noch ganz scharf und spitz.“
„Nein, Arnulf. Wenn dein Vater erfährt, dass du es mir gegeben hast, bekommst du Prügel.“
„Ach was, ich werde sagen, ich habe es verloren, und beim nächsten Markt bekomme ich vielleicht sogar schon ein neues.“ Mit diesen Worten legte er ihr das Messer zusammen mit einer Scheide aus Leder in den Schoß. Auf die Scheide deutend fügte er noch hinzu: „Die hab ich mir selber gemacht. So eine scharfe Klinge kann man nicht einfach so mit sich rumtragen.“ Er grinste, und auch Ursula lächelte ihn an. „Du bist ein so guter Junge“, sagte sie voller Dankbarkeit. „Hast du Durst? Ich schon“, sagte sie und hob ihren Wasserschlauch. Arnulf nickte, und sie nahmen beide einen kräftigen Schluck. Dann schnitt Ursula mit ihrem neuen Messer etwas Brot und Käse ab, und sie teilten beides miteinander. Noch mit vollem Mund verabschiedete sich
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