Die Kreuzfahrerin
ihre Beine. Hilde wuselte geschäftig um die beiden herum. Sie nahm einen Bindfaden und verknotete ihn ganz feste in etwas Abstand zu dem Bauch des Kindes. Dann machte sie mit einem weiteren Faden das Gleiche noch einmal direkt neben dem ersten Knoten. Mit einem Messer schnitt sie zwischen den Fäden die Verbindung von Mutter und Kind durch. „So. nun gib mir die Kleine“, sagte sie drauf. „Wir müssen sie saubermachen und dann warm einpacken. Ach, schau dir diese kleinen Fingerchen an.“
Während Hilde das Neugeborene versorgte, kam Ursula langsam wieder zu Atem. Dann spürte sie plötzlich wieder ein Zusammenziehen ihres Leibes. „Hilde!“, rief sie erschrocken. „Es ist noch nicht vorbei!“
„Ja, ja, nur ruhig. Da kommt jetzt der Rest, das wird aber nicht mehr schlimm.“ Sie übergab Adele das frisch eingepackte Kind und griff nach dem Ende des blutigen Stranges, der aus Ursula kam. Ganz vorsichtig zog sie daran, und mit Ursulas Hilfe kam zum Vorschein, was Ursula damals auch auf der Weide bei der geschlachteten Kuh gesehen hatte. „So, das war’s“, verkündete Hilde und begann Ursula zu waschen und sauberzuwischen. Dann schob sie ihr ein sauberes Tuch zwischen die Beine und zog das befleckte Laken unter ihr weg. Adele hatte das Kind an Ursula weitergereicht, und in den Armen seiner Mutter hörte es zu schreien auf.
„Ein Mädchen“, schnaufte Hilde. „Gott sei Dank. Was anderes hätte ich dir nie verziehen.“ Sie zwinkerte Ursula zu. „Na, wie soll es heißen?“ Ursula brauchte nicht zu überlegen. Ohne weiter darüber nachzudenken, antwortete sie im gleichen Moment: „Ester.“
Vor den Mauern Arqas,
15. April 1099
„Herr Gott! Bitte Gott, hilf.“
Ursula stemmte ihre Füße in den Boden und biss die Zähne zusammen. Der Schmerz ebbte wieder ab. In Gedanken ging sie noch einmal alles durch. Sie breitete ihren Rock unter sich aus. Das Vorderteil raffte sie nach oben unter ihrem Bauch zusammen. Sie löste ihre Schürze und legte sie neben sich. In ihr Tuch wollte sie das Kind wickeln. Messer und Schnüre lagen bereit. Mit der Schürze konnte sie sich später säubern. Sie nahm noch einen Schluck Wasser. Dann begann sie unvermittelt zu weinen. „Herr Gott, bitte, bitte, nicht wieder“, stammelte sie. „Heilige Mutter Gottes, steh uns bei. Ich bin eine Sünderin, aber das Kind kann doch nichts dafür.“ In ihrem Flehen lagen all ihre Angst und die Erinnerung an einen lange verdrängten Schmerz.
Regensburg,
3. April 1096
Bereits nach zwei Tagen versuchte Ursula zum ersten Mal aufzustehen. Sie fühlte sich noch schwach, aber sie wollte auch nicht mehr liegen. Ganz langsam richtete sie sich neben ihrem Lager auf und schlurfte mit winzigen Schritten die Wand entlang nach vorne. Hilde und Adele waren nicht da, aber sie hatte Durst und wollte die Gelegenheit nutzen, ohne Hilde die Möglichkeit zu geben, sie gleich wieder schimpfend zum Liegen zu verdammen. Ester schlief ruhig in ihrem Korb, der von der Decke herabhing. Ursula schaffte es bis zur Bank und setzte sich. Von der Bank aus reichte sie an den Kessel und schöpfte sich etwas von dem Kräuteraufguss, den Hilde ihr bereitet hatte. Sie trank und atmete auf. Die wenigen Schritte hatten ihr den Schweiß auf die Stirne getrieben. Ihre Brüste spannten. Sie waren viel größer geworden und hatten sich mit Muttermilch gefüllt, die Ester begierig aufsaugte, sobald Ursula sie anlegte. Vorsichtig erhob sie sich jetzt erneut und schlurfte zum Eimer. Dann reichte ihre Kraft gerade noch aus, um bis zu ihrem Lager zu kommen.
Sie legte sich wieder hin.
Am Abend weckte Hilde sie sanft. Ursula war, nachdem sie Ester die Brust gegeben hatte, fest eingeschlafen. Hilde wusste, bald würde sich der Säugling wieder melden, und reichte Ursula eine Schale mit Brühe. „Hier trink. Das gibt Kraft.“ Ursula folgte, und nachdem sie einige Schlucke genommen hatte, rührte Ester sich bereits in ihrem Korb. Nur einen Moment später ließ sie ihr schrilles Stimmchen erschallen. Hilde nahm die Kleine aus dem Korb und reichte sie Ursula, die bereits ihre Brust entblößt hatte. Als sie Ester nun an die Brustwarze führte, erschrak sie. Esters Köpfchen war ganz heiß. „Hilde, fühl mal. Ich glaube, wir haben unser Mädchen zu warm eingepackt.“ Hilde kam hinzu und legte ihre Hand auf den Kopf des saugenden Kindes. Sie runzelte die Stirn. „Hm“, grunzte sie nur, und Ursula konnte die Sorge in Hildes Gesicht sehen. „Was ist?“
„Ich kann es nicht
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