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Die Kreuzfahrerin

Die Kreuzfahrerin

Titel: Die Kreuzfahrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nowicki
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kommen.

Regensburg,
3. Mai 1096
    Am nächsten Tag war die ganze Stadt in Aufruhr. Am anderen Flussufer hatte sich eine unglaubliche Menge Menschen angesammelt. Soweit Ursula schauen konnte, sah sie Wagen, Zelte und Menschen. Die ganze Stadt war in Bewegung. Jeder wollte einen Blick auf dieses Schauspiel erhaschen, und jede Menge Gerüchte waren in Umlauf.
    „Das ist eine Pilgerschar unterwegs nach Jerusalem“, sagte jemand, der hinter Ursula stand.
    „Sie werden angeführt von einem heiligen Mann.“
    „Ja, Peter heißt der und ist ein Einsiedler. Ich habe gehört, er soll schon in der Stadt sein. Er trifft den Bischof und die Äbte mit einem Brief des Papstes.“
    „Nein, den Brief hat er vom Erzengel Gabriel. Der Engel soll ihn selbst mit einer Feder, die er sich aus dem Flügel riss, geschrieben haben.“
    „Aber der Einsiedler kommt vom Papst und wird heute noch auf dem Markt sprechen.“
    Ursula hörte all diese Vermutungen und begab sich wieder auf ihren täglichen Gang durch die Stadt. Als sie zum Marktplatz kam, hatten sich dort schon viele Menschen versammelt. Ursula wollte am Rand der Menge um den Platz herumgehen, doch als sie etwa die Hälfte ihres Weges geschafft hatte, tat sich plötzlich eine Gasse auf, und mehrere Reiter preschten da hinein, die Menge teilend. Ursula musste stehenbleiben. Hinter den Reitern kamen in würdigem Tempo ein Herr auf einem hohen Ross und neben ihm eine Gestalt, die auf einem Esel saß.
    „Da kommt er“, raunte es aus der Menge. „Peter der Einsiedler!“
    „Der auf dem Pferd ist ein Graf!“
    „Ja, aus dem Rheinland, Graf Emicho.“
    Interessiert schaute Ursula sich die Herannahenden genauer an. Der Graf saß hochmütig auf seinem Ross und schien keine Augen für die Menschen auf dem Markt zu haben. Der, den sie Peter den Einsiedler nannten, schaute gutmütig, und Ursula fand, der Blick dieser Gestalt ähnelte dem des Esels, auf dem er ritt. Der Mann hatte eine löchrige, in Fetzen herunterhängende, graue Kutte an. Seine nackten Beine waren ebenso schmutzig und grau wie sein Gewand und sein Reittier. Als er dicht an Ursula vorbeiritt, roch sie, dass beide, Mensch und Tier, abscheulich stanken. Haare und Bart des Mannes waren strähnig und verklebt, und auch die Hände waren alles andere als sauber. Eine dieser schmutzigen Pranken hielt der Mann hoch über seinen Kopf und präsentierte den Umstehenden eine Pergamentrolle, mit der anderen hielt er die Zügel des Esels.
    Als der Zug vorbei war, wollte Ursula ihren Gang fortsetzen, doch die aus den Gassen nachströmenden Menschen machten es ihr unmöglich, auch nur einen Schritt in die gewollte Richtung zu gehen. Statt dessen wurde sie fast bis in die Mitte des Platzes gedrängt. Dieser Graf und sein hässlicher Begleiter hatten die Brüstung des Brunnens bestiegen, und als der Einsiedler beide Hände hob, verstummte die ganze Menge. Ursula fühlte sich nicht wohl, so eingezwängt zwischen all den Menschen, und wollte noch einmal versuchen, sich durchzudrängen, da öffnete der Einsiedler den Mund und begann zu sprechen. Verwundert und fasziniert drehte sich Ursula wieder um. Die Stimme des Mannes passte überhaupt nicht zu seinem Erscheinungsbild. Ohne wirklich laut zu sein, drang sie doch über den ganzen Platz. Sie hatte einen angenehmen, klaren Klang, wie eine Glocke, und der Kontrast zu ihrem Eigentümer erweckte in Ursula das Gefühl, nicht der schmutzige Mann rede, sondern es würde durch ihn gesprochen. Ja, sie hatte das Gefühl, diese Stimme sei nicht von dieser Welt. Verwirrt versuchte sie sich auf den Inhalt der Rede zu konzentrieren. Sie verstand den Einsiedler nur teilweise, da dieser in mehreren Sprachen gleichzeitig zu reden schien.
    „Und der Engel des Herrn brachte mir die Botschaft unseres Heilands Jesus. Er schrieb mir …“, wieder hielt er das Pergament hoch, „Peter, du liebstes meiner Erdenkinder, entflamme die Herzen der Gläubigen, Jerusalem und die heiligen Stätten zu säubern und den Dienst in den Heiligtümern wiederherzustellen. Brüder und Schwestern von Regensburg, darum bin ich zu euch gekommen. Und darum war ich auch in Clermont, wo ich Papst Urban, den Stellvertreter Christi selber traf, der an alle Welt eine Botschaft sprach. Macht euch auf in das Heilige Land, sagt der Papst. Befreit die Wege der Pilger von der Bedrohung durch Heiden und Turkmenen. Brecht auf nach Jerusalem und reinigt den Ort, da unser Herrgott einst einherschritt, von dem Frevel und der Schande, die fremde

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