Die Kreuzweg-Legende
Sackleinen. In der Mitte wurde es durch eine Kordel gehalten.
Mehr brauchte der Eremit an Kleidung nicht, der sich von den Früchten das Waldes ernährte.
Und er verließ sich auf sein Holzkreuz, das von der Kordel an seiner linken Hüfte hing.
Seine blanken Füße steckten in festen Schuhen. Der Waldboden war sehr uneben, da benötigte er gutes Schuhwerk.
Um von seiner Hütte aus auf einen Pfad zu gelangen, mußte er den Weg durch den dichten Wald nehmen. Auch in der Dunkelheit fand er sich zurecht, erreichte einen Wildwechsel, folgte ihm tiefer ins Tal hinein und verschwand bald zwischen den grauen Nebelwänden, die bald von der Sonne würden aufgelöst werden.
St. Immel erreichte den Weg. Er war ein wenig spät dran. Die Morgendämmerung verschwand schon. Erste Lichtspeere explodierten am Himmel und stießen hinein in graue Wolkenbänke. St. Immel nahm den Weg ins Tal. Er war noch feucht vom Tau des Morgens.
Rechts des Weges führte ein dicht bewachsener Abhang in die Tiefe. Links ging es ebenso steil wieder hoch.
Der Gesang der Vögel begleitete ihn. Die gefiederten Freunde hockten im Laub der Bäume. Sie begrüßten den kommenden Tag und kannten keine schlechte Laune.
Sehen konnte St. Immel sie nicht. Morgengrauen und Nebel nahmen ihm die Sicht. Er dachte daran, daß die grauen Schwaden Anfang September noch schnell verdampfen würden.
Einen Monat später sah es dann völlig anders aus.
Unter seinen Sohlen knackten Äste und kleinere Zweige. Manchmal raschelte auch Laub. Die Lippen des Mannes hatten sich zu einem Lächeln verzogen. Trotz seiner selbst gewählten Einsamkeit freute er sich darauf, wieder den Menschen in den kleinen Orten begegnen zu können. Sehr oft luden sie ihre Sorgen bei ihm ab. Er fühlte sich wohl unter ihnen, nachdem sie Vertrauen zu ihm gefaßt hatten. So ging er weiter.
Seine Gedanken beschäftigen sich mit Gott und der Welt. Er dachte auch an die Zukunft, die gar nicht so gut aussah, blieb abrupt stehen, denn trotz seiner Überlegungen war ihm etwas nicht verborgen geblieben.
Die Vögel sangen nicht mehr!
Für den Einsiedler war dies ein schlechtes Zeichen, denn seine Freunde jubilierten oft den gesamten Tag über. Wenn sie jetzt verstummt waren, mußten sie einen Grund gehabt haben.
Sf. Immel war ein ruhiger Mensch. Er verhielt seinen Schritt, stützte sich mit einer Hand an einem gebogenen und mit Moos bewachsenen Baumstamm ab und blieb minutenlang so stehen, um sich völlig in die ihn umgebende Natur versenken zu können.
Unruhe drang in seinem Innern hoch.
Um ihn herum raschelte es. Er sah Rehe in panischer Hast fliehen. Ihnen folgten zwei Füchse und dann ein Rudel Hirsche, die aufgeschreckt durch die Büsche brachen und den Abhang rechts des Weges hinab in die Tiefe stürmten.
St. Immel wußte nun endgültig, daß etwas nicht in Ordnung war. Er hatte sich auch die Richtung gemerkt, aus der die flüchtenden Tiere gekommen waren.
Von vorn waren sie ihm entgegengelaufen.
Da wallte nun leider der Nebel, so daß er nichts erkennen konnte. Er war allerdings sicher, daß innerhalb der grauen Dunstschwaden, vielleicht nicht mal weit entfernt von ihm, etwas lauerte.
Kam es näher?
Ja, denn der Eremit hörte ein Geräusch, das so überhaupt nicht in die Stille des Waldes passen wollte.
Ein Trommeln und Hämmern, das er noch stärker vernahm, als er sich bückte und sein Ohr gegen den Boden preßte. Es war Huf schlag!
Nicht von einem im Wald lebenden Tier stammte er her, das mußte ein Reiter sein, der ihm bald entgegenkommem würde.
Der Mönch richtete sich wieder auf. Seine sonst so weichen Gesichtszüge hatten einen gespannten, lauernden Ausdruck angenommen. Die Augen waren zu schmalen Sicheln verengt. Er lauschte in die Nebelwand hinein und erwartete jeden Augenblick, die Umrisse der Gestalt zu sehen.
Der Reiter kam näher. Allein daran festzustellen, daß sich der Huf schlag verstärkte. Aber der Nebel war zu dicht, zudem schlug der Weg vor ihm eine Kurve, damit er um eine Bergflanke herumgeführt wurde, bevor er endgültig ins Tal führte.
Marcus St. Immel dachte nicht daran, auch nur einen Schritt zu weichen. Er blieb mitten auf dem Weg stehen und wollte den Reiter stoppen. Dabei überlegte er, wer es sein könnte.
Bestimmt kein Bewohner aus den Dörfern. Die ritten nicht auf Pferden in den Wald, höchstens ein Besucher aus der Stadt, der sich verirrt haben mußte.
Aber weshalb waren die Tiere geflohen? Von einem normalen Reiter ließen sich sie sich nicht
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