Die Kreuzweg-Legende
bellte ein Hund. Mal fauchte eine Katze, dann hörten wir auch eine menschliche Stimme. Alles klang normal, trotzdem wurde ich das bedrückende Gefühl nicht los, daß irgend etwas lauerte und nur darauf wartete, Atem zu holen, um erneut zuschlagen zu können.
So war das mit dem Reiter.
Die alte Frau kam vom Friedhof zurück. Diesmal sagte sie nichts und ging stumm vorbei. Ihre Schritte verklangen.
Die Gassen waren sehr eng. Die Fenster der Häuser klein. Hin und wieder erschien schemenhaft ein Gesicht hinter den Scheiben. Als wir entdeckt wurden, verschwanden die Gesichter stets sehr schnell. Man traute uns nicht. Vor allen Dingen mir nicht, dem Fremden. Meine Spannung stieg. Ich dachte auch an Suko und daran, daß man einen Schuß wohl sehr weit hören mußte. Bisher hatten wir nichts dergleichen vernommen.
»Er hat sich immer junge Mädchen geholt«, sagte der Mönch. »Davon wird er nicht abweichen.«
»Wir können nicht jedes Haus bewachen.«
»Leider.«
Ich blieb stehen und zündete mir eine Zigarette an. St. Immel wollte nicht rauchen. Er schaute wie ich dem Rauch nach, der davongetrieben wurde und die Luft würzte.
»Wann ist es soweit?« fragte der Mönch und schaute zu den dunklen Feldern hinüber.
Ich hob die Schultern und wechselte das Thema. »Sagen Sie, wo steht eigentlich dieser Galgenbaum, an dem man den Reiter mal aufgehängt hat?«
St. Immel deutete in die entgegengesetzte Richtung.
»Also ziemlich weit.«
»Ja.«
Ich wollte etwas sagen, hielt aber den Mund, denn ein anderes Geräusch war an meine Ohren geklungen. Auch St, Immel hatte es vernommen. Er wollte eine Frage stellen, ich bemerkte es und legte einen Finger auf die Lippen. So standen wir da und konzentrierten uns.
Da wir es beide vernommen hatten, war eine Täuschung so gut wie ausgeschlossen.
Das Geräusch paßte nicht in die Ruhe.
Aber es war zu identifiziereen.
Hufschlag!
Der unheimlich Reiter kam…
***
Das Mädchen Martha dachte ständig an das Gespräch, das sie am Nachmittag mit dem Pater geführt hatte. Die warnenden Worte wollten ihr nicht aus dem Gedächtnis, denn die Simme des Mönchs hatte sehr eindringlich geklungen. Er glaubte an den Reiter. Und sie? Martha nicht. Sie war zwar in Szetisch groß geworden, doch sie wollte hier nicht bleiben. Vor zwei Monaten hatte sie ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert, und sie hatte sich damals fest vorgenommen, mit diesem Tag ein neues Leben zu beginnen.
Das sollte in Warschau stattfinden. In der Stadt gab es noch immer bessere Chancen. Dies wußte sie von einer Freundin aus dem Nachbarort, die den großen Sprung in die Stadt geschafft hatte und dort ihr Geld verdiente. Als Bedienung in einem Laden, in dem auch ausländische Touristen verkehrten. Dort fiel so mancher Schein ab, allerdings durfte man nicht sehr prüde sein, wie ihre Freundin ehrlich berichtet hatte. Martha war nicht prüde.
Jemand hatte ihr mal gesagt, daß sie ein schönes Mädchen wäre. Also nicht nur hübsch.
Darüber hatte sie sich sehr gefreut. In Szetisch kannte man sie als ein stilles, leicht in sich gekehrtes Wesen, das mit Männern oder jungen Burschen nichts im Sinn hatte.
Aber wer von diesen Dörflern ahnte schon, was tatsächlich in ihr vorging, wenn sie nachts in ihrem Zimmer lag, nicht schlafen konnte und von jungen Männern träumte, die sie in die Arme nahmen. Auch sie wollte geküßt und geliebt werden. Martha fand daran nichts Schlimmes. Es war eben ihre Natur.
Vor kurzem hatte sie einen Film gesehen. Das war in einem fahrenden Kino gewesen. Sehr viel war von Warschau gezeigt worden und von der Liebe eines jungen Mädchens zu einem Offizier.
So etwas war ihr Traum.
Sie wäre vielleicht schon längst verschwunden gewesen, hätte nicht ihre Mutter immer wieder weg gemußt. So schob sie diesen für sie entscheidenden Zeitpunkt weiter hinaus.
Allein befand sie sich in dem schmalen Haus. Es gehörte zu den kleinsten im Ort, war schon ziemlich alt, und ein hochgewachsener Mensch wäre mit seinem Kopf gegen die dunklen Balken der Decke gestoßen, so niedrig war diese.
Martha hatte sich etwas zu trinken geholt und war in den kleinen Anbau gegangen, wo der große Ofen stand, auf dem sie das Badewasser erhitzten. Ein Bad oder eine Dusche war nicht vorhanden. Nur eben der Ofen, eine Zinkwanne und ein alter Spiegel, der stets beschlug, wenn die Schwaden des Badewassers gegen ihn trieben.
Vom Brunnen hatte sie schon das Wasser geholt, den Ofen angeheizt und den großen Topf mit heißem
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