Die Kreuzzüge
braue sich ein Aufruhr zusammen. Viele im Heer seien dagegen, »sich auf eine Belagerung vorzubereiten«, weil sie eine Wiederholung der Katastrophe von Akkon befürchteten. Außerdem bestand die reale Gefahr, dass die alten Feindseligkeiten zwischen den Kurden und den Türken in Saladins Heer in einen offenen Konflikt mündeten. Abu’l Haija riet dem Sultan, den Großteil seines Heeres aus der Heiligen Stadt herauszuholen, solange das noch möglich war, und nur pro forma eine Garnison zurückzulassen.
Am Abend dieses Tages befahl der Sultan Baha ad-Din zu sich und teilte ihm den Inhalt von Abu’l Haijas Botschaft mit. Baha ad-Din erinnerte sich, dass »Saladin sich mit einer Intensität um Jerusalem sorgte, die Berge hätte versetzen können, und er war von der Mitteilung sehr aufgewühlt. Ich blieb in dieser Nacht bei ihm; es ging die ganze Nacht nur um die Sache des heiligen Krieges.« Als es schließlich dämmerte, beschloss Saladin schweren Herzens, Jerusalem zu verlassen – »am liebsten wäre er selbst in der Stadt geblieben, doch seine Vernunft verbot es ihm [543] wegen des Risikos, das es für den Islam bedeutet hätte«. Die Entscheidung war gefallen; am Morgen des 3. Juli, einem Freitag, begannen die Vorbereitungen für den Auszug. Saladin ergriff die Gelegenheit, das Haram as-Sharif aufzusuchen, dort leitete er ein letztes Freitagsgebet in der heiligen al-Aqsa-Moschee, in der er vier Jahre zuvor die herrliche Siegeskanzel von Nur ad-Din hatte aufrichten lassen. Baha ad-Din schrieb: »Ich sah [den Sultan], wie er sich niederwarf und einige Worte sprach, und Tränen fielen auf seinen Gebetsteppich.«
Aber dann, als es schon Abend wurde, trafen neue, überraschende Nachrichten ein – Nachrichten, die Saladins Pläne über den Haufen warfen und dem gesamten Krieg um das Heilige Land eine neue Richtung gaben. Jurdik, der syrische Emir, der die ajjubidische Vorhut befehligte, berichtete, die Franken befänden sich in einem deutlichen Zustand der Verwirrung: »Die Feinde hatten sich gesammelt, erst bestiegen sie auf dem Feld vor dem Lager ihre Pferde, dann gingen alle zu ihren Zelten zurück«, und er fügte hinzu: »Wir haben Späher ausgesandt, um herauszufinden, was sie vorhaben.« Gleich am nächsten Morgen, am 4. Juli 1192, auf den Tag genau fünf Jahre nach der Schlacht von Hattin, brachen die Teilnehmer des dritten Kreuzzugs ihr Lager ab, kehrten Jerusalem den Rücken und begannen mit ihrem Rückzug in Richtung Ramla. »Begeisterter Jubel« erhob sich, als klar wurde, dass die Heilige Stadt gerettet war. 4
Das Scheitern der Franken
Der Aufbruch der Kreuzfahrer ließ die Muslime in einem Zustand ungläubiger Hochstimmung zurück. Was hatte diese plötzliche Umkehr bewirkt? Jurdiks Spione konnten nur eine verworrene Darstellung der Ereignisse abliefern, sie sprachen von einem Streit zwischen Richard und den Franzosen. Tatsächlich war der Keim für den fränkischen Rückzug bereits in Askalon gelegt worden, als Richard die Kontrolle über den Kreuzzug verlor und dem Drängen der Mehrheit auf einen zweiten Marsch landeinwärts nachgegeben hatte. Als der Feldzug am 10. Juni Beit Nuba erreichte, wurde schnell klar, dass Richard nicht die Absicht hatte, Jerusalem zu belagern, obwohl die Franzosen entschieden dafür plädierten, dass man einen Angriff versuchen sollte. Am 17. Juni kamen die Anführer des Kreuzzugs zusammen, um die Angelegenheit zu beraten. Sogar zwei christliche Augenzeugen, die eindeutig auf Richards [544] Seite standen, gaben offen zu, dass der König sich mit aller Schärfe gegen jeden weiteren Vormarsch aussprach.
Richard Löwenherz brachte offenbar drei überzeugende Gründe vor, warum eine Belagerung sinnlos war: die unsichere Nachschubverbindung zwischen den Kreuzfahrern und der Küste, die gewaltigen Verteidigungsanlagen der Heiligen Stadt und Saladins genaue Kenntnis der Stärke der Franken und ihrer Truppenbewegungen. Der König gab auch unumwunden zu, dass er sich rundweg weigerte, den Kreuzzug in ein derart »überstürztes Unternehmen« zu führen, weil dies mit einer »fürchterlichen Blamage« enden musste, für die er »auf ewig beschuldigt, beschämt und weniger geliebt« werden sollte. Diese bemerkenswerte Formulierung lässt vermuten, dass es ihm nicht in erster Linie um das Wohl des Kreuzzugs ging, sondern vor allem um sein eigenes Prestige. Der König hatte dies offenbar bereits in Askalon vertreten, weil er sich jetzt mit der Rückendeckung durch mehrere seiner
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