Die Kreuzzüge
BESCHÜTZER DER HEILIGEN STADT
Gottfried von Bouillon, der erste fränkische Herrscher in Jerusalem, erkannte dieses Problem sofort. Da ihm nur kümmerliche Ressourcen an militärischer Schlagkraft zur Verfügung standen und die Streitkräfte des abbasidischen wie auch des fatimidischen Islams zwar eingeschüchtert, aber alles andere als bezwungen waren, waren seine anfänglichen Perspektiven düster. Gottfrieds oberstes Ziel bestand zunächst darin, die lateinische Ausgangsposition im Heiligen Land auszudehnen und die Verbindungskanäle mit dem Westen über das Mittelmeer zu sichern. Beide Ziele gedachte er mit der Eroberung von Arsuf, einer kleinen befestigten Hafenstadt nördlich von Jaffa, die sich in der Hand von Muslimen befand, zu verfolgen, doch trotz einer schweren Belagerung im Herbst 1099 vermochte er seine Eroberung nicht zu halten.
In den ersten Dezembertagen kehrte er in die Heilige Stadt zurück, aber er wurde dort mit einer neuen Gefahr konfrontiert: Bürgerkrieg. Seine Erhebung zum Herrscher und seine öffentliche Entscheidung, den Königstitel abzulehnen, war umstritten gewesen, was seine Autorität über die fränkischen Gebiete in Palästina angreifbar machte. Schon allein Tankred, der sich nach wie vor in Jerusalem aufhielt, stellte ein gewisses Problem dar; eine sehr handfeste Möglichkeit interner Umwälzungen zeichnete sich dann allerdings am 21. Dezember 1099 mit der Ankunft einer mächtigen Delegation lateinischer »Pilger« ab. Bohemund von Tarent und Balduin von Boulogne hatten sich von Antiochia und Edessa aus auf den Weg in den Süden gemacht, um mit der Verehrung der heiligen Stätten ihr Kreuzzugsgelübde zu erfüllen. Sie wurden vom neuen päpstlichen Gesandten für die Levante, Erzbischof Dagobert von Pisa, begleitet, einem Mann von großem persönlichem Ehrgeiz und unbeirrbarem Glauben an die Macht der Kirche. Jeder dieser Potentaten hegte insgeheim Hoffnungen, die Herrschaft über Jerusalem, sei es als weltliches oder als geistliches Oberhaupt, erringen zu können, und ihr Erscheinen stellte eine offensichtliche, wenn auch unausgesprochene Bedrohung dar. Trotzdem gelang es Gottfried mit politischem Pragmatismus, diesen Besuch zu seinen Gunsten zu nutzen. Nachdem man in Bethlehem das Fest der Geburt Christi gefeiert hatte, beschloss Gottfried, sich von Arnulf von Chocques zu distanzieren und stattdessen Dagobert zu favorisieren. Indem er die Kandidatur des Erzbischofs für den Sitz des [133] Patriarchen unterstützte, wendete er die unmittelbare Bedrohung ab, die von Bohemund und Balduin ausging, und sicherte sich die dringend benötigte Seestreitkraft der pisanischen Flotte mit 120 Schiffen, die Dagobert in den Vorderen Orient begleitet hatte. Dieses neue Bündnis hatte seinen Preis – die Übergabe eines Teils der Heiligen Stadt an den Patriarchen und das Versprechen, im Hafen von Jaffa ein pisanisches Viertel einzurichten.
Im Januar des Jahres 1100 kehrten Balduin und Bohemund in ihre nördlichen Herrschaftsgebiete zurück, und in den darauffolgenden sechs Monaten festigte Bohemund die fränkische Autorität über Syrien zu Lasten von Byzanz, indem er den griechischen Patriarchen von Antiochia wegschickte und an seiner Stelle einen Lateiner einsetzte. Im Lauf eines recht überstürzten Feldzugs in das Gebiet jenseits der nördlichen Grenze seines Fürstentums im Juli 1100 wurde Bohemund jedoch von einer Truppe anatolischer Türken überfallen und gefangen genommen. Der große Feldherr der Kreuzfahrer verbrachte drei Jahre in der Gefangenschaft: Spätere Gerüchte behaupteten, er habe diese Zeit damit zugebracht, einerseits eine berückende muslimische Prinzessin namens Melaz zu umwerben und andererseits den heiligen Leonhard, den christlichen Schutzheiligen der Gefangenen, um Hilfe anzuflehen.
In Palästina errang Gottfried einige Erfolge: Es gelang ihm unter Einsatz der pisanischen Flotte in den ersten Monaten des Jahres 1100, die von Muslimen beherrschten Küstenorte Arsuf, Akkon, Cäsarea und Askalon einzuschüchtern und mit jeder Siedlung Tributzahlungen an die Franken auszuhandeln. Tankred befasste sich unterdessen mit dem Ausbau seiner eigenen halb-unabhängigen Herrschaft in Galiläa, indem er ohne größere Anstrengung Tiberias aus muslimischer Hand eroberte. Mit der Abreise der pisanischen Flotte im Frühjahr und der Ankunft einer neuen venezianischen Seestreitmacht im Heiligen Land Mitte Juni wurde auch Gottfrieds Abhängigkeit vom Patriarchen Dagobert
Weitere Kostenlose Bücher