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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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seine Zuhörer zu gewaltsamer Aktion auf: »Die Köpfe der Polytheisten sind schon reif, verschmäht sie also nicht als Lese und Ernte!« Am interessantesten ist die Reaktion von Ali ibn Tahir al-Sulami, einem muslimischen Rechtsgelehrten, der an der großen Omajjaden-Moschee in Damaskus lehrte. Um das Jahr 1105 herum muss er einige öffentliche Reden über den Nutzen des Dschihads gehalten haben sowie darüber, wie dringend notwendig eine entschlossene, kollektive islamische Antwort auf den ersten Kreuzzug sei. Seine Gedanken wurden in einem Traktat festgehalten, dem Buch vom heiligen Krieg (Kitab al-Dschihad) ; Teile davon sind bis heute überliefert. Doch trotz der hellsichtigen Beurteilung der von den Franken ausgehenden Bedrohung verhallte al-Sulamis Aufruf, dass etwas geschehen müsse, ungehört. 15
    Das völlige Ausbleiben einer geschlossenen islamischen Reaktion auf die Invasion der Kreuzfahrer kann auf unterschiedliche Art erklärt werden. Generell scheinen die Muslime im Vorderen Orient nur ansatzweise verstanden zu haben, um wen es sich bei den ersten Kreuzfahrern handelte und warum sie ins Heilige Land gekommen waren. Die meisten nahmen an, dass die Lateiner byzantinische Söldner waren, die sich auf [130] einen raschen militärischen Überfall verlegt hätten, nicht aber hochmotivierte Krieger, die sich der Eroberung und Besiedlung der Levante verschrieben hatten. Diese Fehleinschätzungen führten dazu, dass die Reaktionen des Islams auf die Ereignisse der Jahre 1097 bis 1099 äußerst verhalten ausfielen. Hätten die Muslime das wahre Ausmaß und Wesen des Kreuzzugs erkannt, hätten sie sich möglicherweise dazu bewegen lassen, zumindest einen Teil ihrer Streitigkeiten beizulegen, um einen gemeinsamen Feind zurückzuschlagen. Tatsächlich aber blieben die grundlegenden Animositäten bestehen. Noch immer trennte ein tiefer Bruch die Sunniten in Syrien und im Irak von den schiitischen Fatimiden Ägyptens. Die Rivalität zwischen den türkischen Herrschern von Damaskus und Aleppo hielt unvermindert an. Und in Bagdad waren der seldschukische Sultan und der Abbasiden-Kalif mit ihren eigenen mesopotamischen Machtkämpfen beschäftigt.
    Im Lauf des darauffolgenden Jahrhunderts wurden einige dieser Probleme gelöst, und die Begeisterung für einen Dschihad gegen die eindringenden Franken breitete sich in der muslimischen Welt des östlichen Mittelmeerraums aus. Anfänglich jedoch sahen sich die Lateiner, als sie in die Levante einmarschierten, keinem entschiedenen panislamischen Gegenangriff ausgesetzt. Damit bot sich der abendländischen Christenheit die folgenschwere Chance, ihre Herrschaft über das Heilige Land zu etablieren.

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    [131] DIE ENTSTEHUNG DER KREUZFAHRERSTAATEN
    D er erste Kreuzzug brachte der lateinischen Christenheit die Herrschaft über Jerusalem und über die beiden großen syrischen Städte Antiochia und Edessa ein. Infolge dieser erstaunlichen Leistungen entstand, als die Franken ihr Territorium ausdehnten und sich die Kontrolle über die Levante sicherten, im Vorderen Orient ein neuer Außenposten des Abendlands. Im Mittelalter nannte man dieses Gebiet häufig »Outremer«, das Land jenseits des Meeres; heute dagegen werden die vier bedeutendsten Niederlassungen, die in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts entstanden – das Königreich Jerusalem, das Fürstentum Antiochia und die Grafschaften Edessa und Tripolis –, zumeist als »Kreuzfahrerstaaten« bezeichnet. 1
    Die Kreuzzugsbewegung war in den folgenden Jahrhunderten im Kern von der Notwendigkeit bestimmt, diese isolierten Territorien, diese Inseln lateinischen Christentums im Orient, zu verteidigen. Im Nachhinein vergisst man leicht, dass das schlichte Überleben der Kreuzfahrerstaaten in den Jahren unmittelbar nach dem ersten Kreuzzug an einem seidenen Faden hing. Diese Unternehmung hatte das Unmögliche vollbracht – die Wiedereroberung der Heiligen Stadt –, doch da der Drang, dieses eine einzige Ziel zu erreichen, so übermächtig war, hatten die Kreuzfahrer weitgehend außer Acht gelassen, dass sie das Land systematisch erobern mussten. Die erste Generation fränkischer Siedler in Outremer erbte also einen Flickenteppich von nur unzureichend versorgten Städten und Ortschaften, und ihre zerbrechliche »neue Welt« war ständig gefährdet. Im Jahr 1100 sah die Zukunft der Kreuzfahrerstaaten verzweifelt ungewiss aus, und die blutigen Erfolge des Kreuzzugs drohten sämtlich zunichtegemacht zu werden. 2
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