Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
in Erfahrung zu bringen. Kaum war es hell geworden, schwang er sich in den Sattel und galoppierte los, ohne das beklemmende Gefühl von Leere und Einsamkeit abschütteln zu können.
Er hatte schon oft unter freiem Himmel geschlafen, aber in dieser Nacht war er zum ersten Mal ganz allein gewesen. Als Übersetzer ging er hin und wieder mit einer Gruppe auf Reisen, und früher hatte ihn sein Vater manchmal in entlegene Gegenden auf die Jagd mitgenommen. Dabei hatte er die gemeinsamen Abende mit anregenden Gesprächen, spannenden Geschichten und sich vertiefenden Freundschaften stets genossen. Diesmal hingegen hatten ihm nur Angst und Zweifel Gesellschaft geleistet.
Obendrein hatte er es nicht gewagt, ein Feuer anzuzünden, was die Sache noch schlimmer machte. Mehrere Dekanten lang hatte er zitternd vor Kälte dagelegen, während sein vom Kampf mit den Valiponden geschundener Körper schmerzte, vor allem an den Handgelenken, wo ihm die Schlingen tief ins Fleisch geschnitten hatten. Die Wunden brannten so stark, dass er sich fragte, ob die Schnüre nicht zusätzlich in Säure getaucht worden waren. Vielleicht handelte es sich sogar um das Gift der Netzwerferspinne. Jedenfalls würde es mindestens eine Dekade dauern, bis die Einschnitte an seinen Handgelenken verheilten.
Falls ich überhaupt noch so lange lebe,
dachte Amanon und kauerte sich im Sattel zusammen. Er war sicher, dass seine Feinde es nicht bei einem Angriff belassen würden. Ein willkürlicher Überfall war das nicht gewesen. Die Sektenanhänger schienen genau gewusst zu haben, was sie wollten und wo sie fündig werden würden. Und wenn der Junge, den sie suchten, tatsächlich Cael war, musste er sich auf das Schlimmste gefasst machen.
Vermutlich waren Corenn und Grigän irgendwie in die Geschichte hineingezogen worden, wie er selbst auch. Daraufhin hatten sie wohl beschlossen, den Sohn ihrer Freunde in Sicherheit zu bringen, und waren Hals über Kopf mit ihm geflohen, ohne irgendjemanden verständigen zu können. An diese Möglichkeit klammerte sich Amanon jedenfalls wie ein Schiffbrüchiger, der in einem Meer der Angst zu ertrinken droht.
Dennoch konnte er den feindseligen und zugleich ungerührten Blick des Internatsaufsehers nicht vergessen. Der Mann war sich seiner Macht sicher gewesen, oder vielmehr der Macht seines Bundes. Und das bedeutete, dass er dazu allen Grund haben musste. Die Valiponden hatten sich vielleicht schon vor Jahren ins Große Haus eingeschlichen und verschiedene strategische Positionen besetzt. Wahrscheinlich hatten sie bestimmte Erkennungszeichen und hielten geheime Versammlungen ab. Womöglich rekrutierten sie sogar Anhänger unter den Soldaten, Beamten und Schreibern – und warum nicht gar unter den Ratsfrauen?
Selbst wenn nur die Aufseher der Schlafsäle in die Sache verwickelt waren, konnten sie dank ihrer Aufgaben als Nachtwächter in aller Ruhe die Schreibstuben der Regierung durchsuchen. Sie brauchten nur Duplikate der Schlüssel anzufertigen, und schon hatten sie Zugriff auf sämtliche offizielle Post des Matriarchats! Sie konnten die Archive durchforsten, geheime Berichte lesen und in allen politischen und finanziellen Angelegenheiten herumschnüffeln … Corenns Amtszimmer musste für sie besonders interessant sein: Da sie im Ständigen Rat für die Außenpolitik zuständig war, gingen die meisten vertraulichen Schriftstücke durch ihre Hände.
Vielleicht war Corenn den Spionen der Sekte im Großen Haus auf die Schliche gekommen? Vielleicht hatte ihr Verschwinden etwas mit ihrer politischen Tätigkeit zu tun? Das war gut möglich. Nur ein Detail passte nicht ins Bild: Die Valiponden interessierten sich für Cael. Warum? Wo war der Zusammenhang? War er etwa auch auf ihr Geheimnis gestoßen?
Nachdem sie Amanon nichts hatten entlocken können, würden die Männer in den grünen Kutten sicher auf die gleiche Idee kommen wie er und den Jungen in seinem Heimatdorf suchen. Vielleicht waren sie schon längst dort und hatten auch das Leben von Yan und Leti auf den Kopf gestellt. In den letzten Tagen konnte alles Mögliche passiert sein!
Amanon hoffte, noch vor Mittag eine Antwort auf seine Fragen zu finden. Wenn sein Pferd stramm durchgaloppierte, würde er in zwei Dekanten in Sichtweite der Küste sein und wenig später Eza erreichen. Doch selbst das kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit.
***
Nachdem der Tag auf befriedigende Weise zu Ende gegangen war, ganz wie es ihrer Vorstellung vom Leben und seinen Annehmlichkeiten
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