Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
geopfert hatten. Diese Gerüchte weckten so grauenvolle Vorstellungen, dass es Amanon schier den Magen umdrehte.
Nein, das durfte einfach nicht sein … Und doch musste Amanon seine Eltern für tot halten. So hätte es seine Mutter gewollt. Corenn hatte ihn seit langem darauf vorbereitet, dass sie von einem Tag auf den anderen verschwinden konnten. Auch wenn sie nicht wusste, ob dieser Fall jemals eintreten würde, war Corenn stets wachsam geblieben. Manche ihrer Feinde waren noch am Leben, pflegte sie die anderen zu erinnern. So hatte ihr Sohn die Züu fürchten gelernt, ohne darauf gefasst zu sein, es eines Tages mit den Valiponden aufnehmen zu müssen.
Doch das änderte nichts am Vermächtnis seiner Mutter. Sie hatte klare Anweisungen getroffen, was im Falle eines Unglücks zu tun sei. Amanon hatte jedes Mal gelangweilt zugehört, wenn sie ihm die Verhaltensmaßregeln einschärfte, doch jetzt begriff er, warum Corenn so großen Wert darauf gelegt hatte. Und er war fest entschlossen, sich genau daran zu halten.
Erstens: Sollte auch nur der geringste Zweifel daran bestehen, dass Grigän und Corenn eines natürlichen Todes gestorben waren, hatte er sich keine Dezille länger als nötig am Ort des Geschehens aufzuhalten, sondern sollte augenblicklich aus der vertrauten Umgebung fliehen. Die Einzigen, denen er vertrauen durfte, waren ihre einstigen Weggefährten, ihre Freunde in Eza, Lorelia und Arkarien.
Zweitens: Unter keinen Umständen – komme, was wolle – durfte er den Anhänger ablegen, den sie ihm geschenkt hatte, als er noch klein war. Amanon hielt das zwar für Gefühlsduselei, aber im Laufe der Zeit hatte er sich so daran gewöhnt, die Kette um den Hals zu tragen, dass sie gewissermaßen zu einem Teil seiner selbst geworden war.
Drittens: Er sollte das Testament seiner Mutter holen gehen. Eigentlich hatte er schon ganz vergessen, dass es diese Niederschrift überhaupt gab, denn in seiner Gegenwart war lange nicht mehr davon gesprochen worden. Doch jetzt war sie ihm wieder eingefallen: Er selbst hatte sie vor zehn Jahren zusammen mit seinen Eltern an einer abgelegenen Stelle an der kaulischen Küste vergraben.
Amanon hoffte nur, dass das Testament immer noch dort lag. Er war nie wieder zu dem Versteck zurückgekehrt. Er erinnerte sich, wie unheimlich es ihm vorgekommen war, die Kiste in dem Loch zu versenken, fast so, als sähe er die Beerdigung seiner Eltern mit an. Sie hatten sich zwar bemüht, das Ganze wie einen gewöhnlichen Ausflug wirken zu lassen, aber er fand die Idee, in aller Abgeschiedenheit ein Testament zu vergraben, doch ziemlich verrückt. Deshalb hatte er das Ganze lieber schnell vergessen – jedenfalls bis zum heutigen Tag. Er hätte nie gedacht, jemals wieder an diesen Ort zurückkehren zu müssen.
Der fünfte Dekant neigte sich schon dem Ende zu, als die beiden ihr Ziel erreichten, eine Gegend weit westlich von Eza. Amanon hatte fast den ganzen Tag im Sattel verbracht. Von seinen Reisen war er es auch nicht anders gewohnt, und es würde sicher nicht das letzte Mal sein, dachte er. Er ließ sein Pferd in Schritt fallen und betrachtete den von Wellen umspülten Strand und die mit Sträuchern bewachsenen Klippen.
»Wo sind wir?«, fragte Cael, der die karge Schönheit der Landschaft bewunderte.
»In der Nähe von Bodoine, dem Heimatdorf meiner Mutter«, erklärte Amanon. »Wenn ich mich nicht irre, liegt es einige Meilen weiter nördlich. Es besteht hauptsächlich aus Bauernhöfen, Fischer gibt es in dieser Gegend kaum.«
»Und was machen wir hier?«, erkundigte sich Cael, der bisher nicht nach ihrem Ziel zu fragen gewagt hatte. »Glaubst du, dass Tante Corenn hier ist?«
»Das wohl nicht, leider«, antwortete sein Cousin seufzend. »Aber sie hat mir vielleicht nicht weit von hier eine Nachricht hinterlassen. Halte die Augen offen und sag mir Bescheid, wenn du einen großen Felsen siehst, der oval geformt ist. Das ist unser Anhaltspunkt.«
Cael fragte nicht weiter, wofür Amanon ihm dankbar war. Er fühlte sich noch nicht imstande, das grauenvolle Wort auszusprechen.
Testament.
Es klang, als wäre das Schicksal seiner Eltern bereits endgültig besiegelt.
So trabten sie eine ganze Weile weiter, bis Amanon schon befürchtete, die Stelle übersehen zu haben. Im nächsten Moment entdeckten beide zugleich den gesuchten Stein. Er war nur etwa so hoch wie ein Weinfass und ragte kaum aus dem dichten Gestrüpp der Sedasträucher heraus. Wind und Wetter oder vielleicht auch nur einige
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