Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
Schreie des Opfers hallten durch die finstere Gasse, übertönt vom Gelächter, Gesang und den Zitherklängen, die aus den umliegenden Kaschemmen erschallten.
In eine dieser Herbergen, ein stadtbekanntes Freudenhaus, führte Keb Nolan und Eryne. Der Wallatte erklärte ihnen, dass er hier zwei Tage lang gewohnt hatte, bis er Emaz Lanas Adresse herausfand. Keb sah keinen Anlass, sich eine andere Unterkunft zu suchen, und Nolan konnte seine Schwester überzeugen, dass sie besser hierblieben: Niemals würden die Grauen Legionäre die Geschwister Kercyan an solch einem schäbigen Ort suchen. Mit dem wenigen Gepäck, das ihnen geblieben war, bezogen sie ihre Zimmer.
Zum Glück hatten sie die Notgroschen der Familie bei ihrer Flucht retten können. Sie besaßen genug Terzen, um für Unterkunft und Essen zu zahlen und neue Kleider zu kaufen, vor allem für Eryne, deren Robe völlig ruiniert war, nachdem Keb sie im Schlamm abgesetzt hatte. Sie vergoss ein paar Tränen, als sie das einzige Geschenk, das ihr von Roban geblieben war, fortwerfen musste. In dem knöchellangen Rock und dem schmucklosen Mieder, die sie nun trug, sah sie zwar aus wie eine einfache Marktfrau, aber Eryne war und blieb eine vornehme junge Dame, nach der sich die Leute umdrehten, ganz gleich, in welcher Kleidung. Ihren Stolz konnten sie ihr nicht nehmen!
Nolan war froh, dass seine Schwester überhaupt dazu bereit war, so viel Ungemach auf sich zu nehmen. Wenn Eryne die schrecklichen Erlebnisse erst einmal verwunden hätte, würden ihre Ungeduld und Selbstverliebtheit sicher wieder zum Vorschein kommen. Er hoffte nur, dass er dann nicht der Einzige wäre, der sie zur Vorsicht mahnte.
Auch Nolan trug nun andere Kleider. Zum ersten Mal seit langem legte er seine mit eurydischen Symbolen bestickte Novizenkutte ab. Nicht einmal bei seiner überstürzten Abreise aus Ith hatte er sich dazu durchringen können. Was dort vorgefallen war, bereitete ihm schlimme Gewissensqualen, und er hatte einfach nicht den Mut, sich Eryne anzuvertrauen. Aber was würde das auch nützen? Womöglich würde sich seine Schwester von ihm abwenden oder sogar fortlaufen. Wenn er sie beschützen und seinen Fehler wiedergutmachen wollte, musste Nolan sein Geheimnis für sich behalten. Irgendwann würde schon der richtige Zeitpunkt kommen, es ihr zu beichten.
Trotz dieser hoffentlich weisen Entscheidung zögerte Nolan, in den Schankraum hinunterzugehen. In dem Gewand eines Tagelöhners, das er nun trug, fühlte er sich unwohl, nicht, weil es ihm nicht fein genug war, sondern weil es seinen hageren Körper und den kahl rasierten Schädel betonte. In der Vergangenheit hatte er hin und wieder Komplimente wegen seines Aussehens bekommen, aber Nolan hatte jedes Mal an der Aufrichtigkeit seines Gegenübers gezweifelt. Er hielt sich für einen gewöhnlichen jungen Mann, einen Novizen wie tausend andere, dessen einzige Besonderheit darin bestand, dass sein Vater Herzog und seine Mutter Emaz war. Er hatte nichts mit einem Mann wie Keb gemein, der vor Selbstvertrauen nur so strotzte, mit seiner Stärke prahlte und Herr seines Schicksals war. In diesem Moment fiel Nolan ein, dass Keb mit Eryne allein war, und er überwand sich nun doch, nach unten zu gehen. Nachdem er die schmutzige Treppe hinabgestiegen war, trat er in die Gaststube. Der Raum war zwar nur halb gefüllt, aber es ging trotzdem hoch her. In der Luft hing der Geruch von schalem Wein, verbranntem Torf und aus Linehtabak. Ein paar Männer saßen an Tischen beisammen und unterhielten sich lautstark, während andere Gäste allein gekommen waren und den Dauerbewohnerinnen der Herberge lüsterne Blicke zuwarfen. Die Frauen waren Freudenmädchen, Mitglieder der Gilde der Drei Schritte.
Keb winkte ihm von einer Bank am anderen Ende zu, und Nolan ging hastig zu seiner Schwester und dem Wallatten. Eryne fühlte sich offensichtlich nicht wohl in ihrer Haut. Sie hatte sich an die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und zuckte jedes Mal zusammen, wenn ein dreckiges Lachen durch den Raum schallte. Nolan entging nicht, wie erleichtert sie war, ihn zu sehen. Er machte sich Vorwürfe, weil er nicht schon eher heruntergekommen war.
Keb hingegen schien bester Laune zu sein. Vor ihm auf dem Tisch stand ein großer Weinkrug, der bereits halbleer war. Eryne, gewöhnt an die edlen Tropfen aus dem Weinkeller ihrer Eltern, hatte ihr Glas nicht angerührt. Widerstrebend nahm Nolan den Becher entgegen, den Keb ihm reichte.
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