Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
Gesandten zu ernennen, der ihn auf eine Reise begleiten sollte. Der Fremde hieß Nol, und die Reise führte sie auf die Insel Ji, einige Seemeilen von hier entfernt. Unter den Gesandten befanden sich Rafa Derkel, Yon und Tiramis aus Kaul und Reyan von Kercyan der Ältere. Unsere Vorfahren.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass unsere Vorfahren einander schon vor fast anderthalb Jahrhunderten begegnet sind?«, fragte Nolan verblüfft.
»Sie sind sich nicht nur begegnet«, erwiderte Amanon. »Sie wurden Freunde, aber mit der Zeit verlor sich der Kontakt zwischen den Familien. Auch wir haben schließlich viel weniger miteinander zu tun als unsere Eltern. Leider.«
»Und was geschah auf der Insel?«, fragte Eryne. »Ich nehme an, dieser Nol hatte einen Plan?«
»Kennt Ihr die Geschichte tatsächlich nicht?«, fragte Amanon. »Ihr müsst doch zumindest wissen, dass Reyan dem Älteren nach dieser Reise der Herzogtitel aberkannt wurde?«
Die Geschwister Kercyan wechselten einen verwunderten Blick.
»Vater hängt nicht gerade an der Vergangenheit«, erklärte Nolan. »Er sagte nur, sein Ururgroßvater sei beim damaligen König in Ungnade gefallen.«
»Das stimmt auch«, meinte Amanon. »Tatsächlich wurde Eurem Vorfahr der Titel aberkannt, weil er sich weigerte, von der Reise und ihrem Geheimnis zu berichten. Damals sprach man an den Königshöfen von nichts anderem, und sein Schweigen kostete Reyan den Älteren den Adelstitel.«
»Was für ein Geheimnis meinst du?«, fragte Cael.
Amanon zögerte eine ganze Weile mit der Antwort, und sein Blick huschte immer wieder zu Keb. Dann begann er unvermittelt zu sprechen, als wollte er das Ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen.
»Als alle Gesandten auf der Insel versammelt waren, führte Nol sie in eine unterirdische Höhle«, sagte er halblaut. »Ein Suchtrupp, der ein paar Tage später losgeschickt wurde, fand keine Spur von ihnen. Erst sechs Dekaden später kehrten sie zurück.«
»Wie das?«, erkundigte sich Eryne. »Wo waren sie in der Zwischenzeit?«
»Sie durchschritten eine Pforte«, antwortete Amanon. »Eine magische Pforte, die sie an einen absonderlichen Ort führte: die Kinderstube der Götter. Und unsere Eltern besuchten diesen Ort ebenfalls«, fügte er hinzu, während die anderen ihn mit offenen Mündern anstarrten.
Die Kerze war fast heruntergebrannt, und in der Kajüte wurde es immer düstererer. In Lorelia hatte es soeben zu Mit-Nacht geschlagen, und an Bord der
Rubikant
entdeckte eine Handvoll junger Leute eine neue Welt. Eine gefährliche Welt, in der Dämonen unter den Menschen weilten und von den Sterblichen selbst erschaffen wurden.
Amanon erzählte so lange, bis ihm ganz schwindelig war. Es gab so viel vom Abenteuer ihrer Vorfahren zu berichten. Seine Gefährten schienen das begriffen zu haben, denn nachdem sie ihn anfangs mehrmals unterbrochen hatten, lauschten sie nun wortlos. Da er Corenns Tagebuch wieder und wieder gelesen hatte, wusste er auswendig, was auf Ji geschehen war. Fast war es, als wäre er selbst dabei gewesen, und weil er ein begnadeter Erzähler war, klang die Schilderung abwechselnd wie ein Abenteuerroman, ein Heldenepos und eine Geschichtschronik.
Amanon befürchtete jedoch, die anderen könnten alles für erfunden halten, schließlich hatte er keine Beweise. Auch er selbst konnte seiner Mutter nur vertrauen. Er glaubte ihr jedenfalls jedes Wort, so verrückt ihr Bericht auch klingen mochte. Nun stand er vor einer schwierigen Aufgabe: Er musste seine Gefährten überzeugen, die letzten Erben von Ji.
Der Anfang war am schwersten gewesen. Nachdem er vom Verschwinden der Gesandten berichtet hatte, war der Rest nur so aus ihm herausgesprudelt, während Cael, Eryne, Nolan und selbst Kebree ihn mit offenem Mund anstarrten. Aus Rücksicht auf den Krieger spielte Amanon Saats und vor allem Chebrees Schuld an den Ereignissen herunter.
Es war das einzige Mal, dass er etwas beschönigte. Ansonsten hielt er sich streng an die Wahrheit, auch wenn er nicht jede Einzelheit, die Corenn in ihrem Tagebuch offenbart hatte, wiedergeben konnte.
Den Inhalt des letzten Hefts verschwieg er den anderen allerdings. Dafür war es noch zu früh. Er endete damit, wie ihre Eltern die Anhänger an ihre Kinder weitergegeben hatten, und wartete dann ungeduldig auf die Reaktion der anderen.
Merkwürdigerweise blieb diese vorerst aus. Cael starrte auf seinen Anhänger hinunter, Keb hatte wie immer ein schiefes Grinsen aufgesetzt, und Nolan war
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