Die Krieger 2 - Der Verrat der Königin
»Ehrlich gesagt war ich überhaupt noch nie länger aus Lorelia weg!«, fügte sie mit einem kleinen Lachen hinzu.
»Habt Ihr denn nie Euren Bruder in der Heiligen Stadt besucht?«, fragte Amanon verwundert.
»Nein. Anfangs kam Nolan noch recht häufig nach Hause und schrieb uns regelmäßig. Mutter und Vater sind viel gereist, nach Ith, Kaul oder Arkarien. Wenn ich mitgekommen wäre, hätten wir uns schon viel früher kennengelernt!«
»Es ist nie zu spät«, erwiderte Amanon. »Ich finde es nur schade, dass wir uns nicht unter anderen Umständen begegnet sind.«
Er bereute seine Worte sofort. Seit vier Tagen kämpfte er gegen Gefühle an, die er in ihrer gegenwärtigen Lage für unangebracht hielt, und heute Morgen waren sie noch stärker geworden – seit er Kebree und Eryne dabei ertappt hatte, wie sie sich fast geküsst hätten.
So schwer es ihm auch fiel, er musste einen kühlen Kopf bewahren und ermahnte sich krampfhaft zur Vernunft. Dass er sich zu Eryne hingezogen fühlte, lag einzig und allein an der Ausnahmesituation, in der sie sich befanden, wenn nicht gar an ihrer geheimnisvollen Herkunft, wie Zejabel angedeutet hatte. Sie war im Jal'dara gezeugt worden – das erklärte ihre überirdische Schönheit und ihre unwiderstehliche Wirkung auf viele Männer. Dem durfte er nicht zu viel Bedeutung beimessen.
Er musste sich auf die Gefahr besinnen, in der sie schwebten. Nichts anderes hätten seine Mutter und sein Vater getan. Seine Eltern hatten die Erben der vorigen Generation mit Mut und Umsicht durch alle Gefahren geführt, bis alle wohlbehalten nach Hause zurückgekehrt waren. Auch Rafa der Stratege, sein Vorfahr, hatte mehreren Gesandten das Leben gerettet. Er musste sich ihrer würdig erweisen, durfte nicht blind vor Begehren und Eifersucht handeln … oder vor Liebe.
Auch wenn ihn jedes Mal, wenn er dem Blick der schönen, rätselhaften Eryne begegnete, ein Schauer durchlief.
Cael sah sich neugierig in dem goronischen Städtchen um, auch wenn es bei weitem nicht so faszinierend war wie das reiche Lorelia oder das unterirdische Labyrinth von Ji. Die Bauweise der Häuser beeindruckte ihn dennoch: Alle Gebäude, bis hin zu den einfachsten Behausungen, sahen aus wie kleine Burgen. Auch nach den Einheimischen drehte er sich immer wieder um, so sehr erstaunten ihn die maßgeschneiderten bodenlangen Mäntel, die hier alle trugen. An manchen Kreuzungen standen Statuen der Göttin Mishra, der Hauptgöttin Gorans, die mit einem Bärenkopf dargestellt war. Beim Anblick dieser Denkmäler geriet er ins Grübeln. Wenn die Unsterblichen tatsächlich existierten, weilte dann auch Mishra unter den Menschen, befand sie sich vielleicht in eben diesem Moment irgendwo zwischen Goran und Leem? Wenn ja, in welcher Gestalt? Als Mensch? Als Tier? Oder als Zwitterwesen, wie die Statuen? Er stellte sich vor, wie eine der steinernen Figuren plötzlich zum Leben erwachte und sich auf die ahnungslosen Passanten stürzte. Mishra galt zwar als Göttin der Gerechtigkeit, aber manche der Statuen sahen genauso furchterregend aus wie Reexyyl.
Die Erben wussten immer noch viel zu wenig über die Kinder des Jal. Wenn sie hoffen wollten, Sombre zu bezwingen, mussten sie noch mehr über das Wesen der Götter in Erfahrung bringen. Es sei denn, Königin Chebree würde ihnen weiterhelfen, doch das bezweifelte selbst Cael. Nach dem Kampf in der lorelischen Herberge hatte er beschlossen, Keb zu vertrauen, aber die Geschichte mit der angeblichen Botschaft für Emaz Lana warf mehr Fragen auf, als Keb beantworten konnte, und dass sich der Krieger ständig absonderte, machte die Sache nicht besser. Wenn er sich überhaupt einmal zu Wort meldete, dann nur, um einen Witz zu reißen oder eine verächtliche Bemerkung fallen zu lassen. An ihren Beratungen beteiligte er sich nie, und von sich selbst erzählte er so gut wie nichts. Dennoch hatte Cael ihn irgendwie gern, seit sie beide von den K'luriern verwundet worden waren. Während sie so nebeneinander herliefen, fiel ihm auf, dass er fast nichts über den Mann wusste, der angeblich Saats Sohn war. Jetzt hatte er die Gelegenheit, mehr herauszufinden. »Habt Ihr nicht manchmal Heimweh nach Eurem Land?«, fragte er beiläufig. Keb warf ihm einen kurzen Blick zu, dann grinste er breit. »Wir haben zusammen gekämpft. Und König bin ich auch noch nicht. Also lass das ›Ihr‹.«
»Gern«, sagte Cael erfreut. »Fehlt dir Wallatt nicht ein bisschen?«
»Doch, sehr sogar«, antwortete Keb.
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