Die Krieger 2 - Der Verrat der Königin
plötzlich eine solche Wandlung durchmachte? Hatte er damit etwas in Gang gesetzt?
Vielleicht lag es aber auch an den verstörenden Erlebnissen der letzten Zeit. Das Verschwinden ihrer Eltern, der Schreck beim Wiedersehen mit Nolan, der brutale Mord an Roban von Sarcy, der Kampf gegen die Legionäre, die Flucht mit Keb, die Erschütterungen der vergangenen Tage. Wer konnte schon sagen, wie ein zwar ausgeglichenes, aber doch empfindsames Gemüt auf solche Aufregungen reagierte?
Letztlich war es auch egal, was ihre Visionen hervorrief. Vielleicht würde sie nie erfahren, warum sie plötzlich angefangen hatte, Stimmen zu hören. Viel mehr interessierte sie die Frage, wann endlich damit Schluss sein würde!
Eryne schlüpfte aus dem Bett und zog sich leise an. Eins jedenfalls wusste sie jetzt schon: Sie würde niemandem von ihren seltsamen Träumen erzählen. Allein der Gedanke, Zejabel und Amanon könnten wieder mit ihren lächerlichen Behauptungen anfangen, war eine Zumutung. Mit seinem Ausbruch im Wirtshaus hatte der Kaulaner schließlich bewiesen, dass er sich nicht immer auf Diplomatie verstand.
Ihr Verhältnis zu Amanon und zu Keb machte ihr das Herz zusätzlich schwer. Eryne war nicht naiv, sie wusste ganz genau, was in den beiden jungen Männern vorging, und das bereitete ihr Kopfzerbrechen. Wie sollte sie dem einen zulächeln, ohne den anderen zu kränken? Wie konnte sie Dankbarkeit oder Freundschaft zum Ausdruck bringen, ohne ihnen falsche Hoffnungen zu machen?
Sich für einen ihrer beiden so gegensätzlichen Verehrer zu entscheiden oder sich gar auf eine kleine Romanze einzulassen, kam auf keinen Fall infrage. Eryne hatte sich geschworen, die Gruppe bis zum bitteren Ende zusammenzuhalten. Es war schon schwer genug gewesen, die Zü in ihre Gemeinschaft aufzunehmen, auch wenn Zejabel äußerst zurückhaltend war. Bis auf diese Göttinnen-Geschichte natürlich.
Obwohl sich Eryne bemühte, leise zu sein, wachte Niss auf und räkelte sich gähnend. Als das Mädchen sie anstrahlte, fühlte sie sich gleich viel besser. Sie war selbst überrascht, in ihrer zehn Jahre jüngeren Zimmergenossin unverhofft eine Freundin gefunden zu haben. Niss konnte keiner Fliege etwas zuleide tun und war so unbeschwert, fröhlich und offen, wie sie zuvor unzugänglich und verloren gewirkt hatte. Manchmal konnte Eryne nicht umhin, ihre ungezwungene Art mit dem hämischen, heuchlerischen Wesen ihrer Bekannten bei Hofe zu vergleichen. Die Reichen und Schönen des Königreichs kamen dabei nicht gut weg, und die zukünftige Herzogin fragte sich immer öfter, ob sie nicht selbst auch einiges falsch gemacht hatte.
Immerhin hatte sie sich in letzter Zeit große Mühe gegeben. Im Verlauf ihrer gemeinsamen Reise hatte sie vieles klaglos hingenommen, worüber sie sonst gejammert hätte: den Mangel an Bequemlichkeit, das salzige Essen oder das Zusammenleben auf engstem Raum, das es schwierig machte, bei körperlichen Verrichtungen den Anstand zu wahren. Sie hatte angeboten, ihre Kajüte mit Niss zu teilen, hatte bereitwillig ihre Kleider verliehen und überall mit angepackt, wo ihre Kräfte es ihr möglich machten. Dennoch fühlte sie sich immer noch als Außenseiterin. Selbst Zejabel schien sich leichter einzugewöhnen! Cael beispielsweise, so kam es ihr vor, ging mit der Zü schon vertrauter um als mit ihr. Das schmerzte Eryne zwar, aber sie wusste nicht, wie sie es ändern sollte, ohne dafür ihre gute Erziehung aufzugeben. Sie konnte sich nicht vorstellen, alle Welt zu duzen, wie es Kebree tat, oder gar ein Schwert zu tragen, als wäre sie ein gemeiner Söldner.
Dieser letzte Gedanke brachte sie auf eine Idee. Nun wusste sie, wie sie jede Annahme, sie könnte eine Göttin sein, im Keim ersticken würde. Am Abend zuvor hatte sie den Fehler begangen, sich besonders schön zu machen, um ihre körperlichen – und damit menschlichen – Vorzüge zu betonen. Doch damit hatte sie das glatte Gegenteil bewirkt. Heute würde sie ihre Strategie ändern und sich sehr viel einfacher kleiden, so schwer ihr das auch fiel. Niss sah erstaunt zu, wie Eryne das Gewand aus zarter Seide, das sie gerade erst angezogen hatte, wieder abstreifte. Noch viel verblüffter war sie aber, als ihre Zimmergenossin den langen Rock und das Mieder hervorkramte, mit denen sie sich in Lorelia als einfache Bäckersfrau verkleidet hatte. Eryne ging sogar so weit, ihr Haar zu einem Knoten zusammenzustecken, wie sie es sonst nur tat, wenn sie ein Bad nehmen wollte. Niss musste
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