Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen
spürte, bedeutete nicht, dass ihre Verletzungen geheilt waren. Sie musste vorsichtig sein und durfte sich nur äußerst behutsam bewegen.
»Was soll das werden?«, fragte Nolan verblüfft.
»Ich stehe auf«, flüsterte sie heiser.
Sie musste nur einen Arm zu Hilfe nehmen, um sich aufzusetzen, und stellte erstaunt fest, dass sie sich in einer Art Tempel befand. Genauer gesagt, auf einem Altar.
»Habt ihr mich etwa für tot gehalten?«, fragte sie in der ersten Verwirrung.
»Wenn du nicht aufpasst, haben wir bald allen Grund dazu«, erwiderte Amanon.
»Legt Euch wieder hin!«, drängte Eryne und fasste sie sanft an der Schulter.
Die Züschob sie ebenso sanft, aber entschlossen beiseite. Die Erben standen im Kreis um den Altar herum und machten große Augen. Zu ihrer Freude sah Zejabel, dass auch der alte Arkarier unter ihnen war. Als sie in der vergangenen Nacht ohnmächtig geworden war, hatte es schlecht um Bowbaq gestanden.
»Was war das für ein Zeug in dieser Flasche?«, fragte Cael. »Das muss ein Zaubertrank gewesen sein!«
Zejabel nickte und glitt behutsam vom Altar. Kaum hatte sie festen Boden unter den Füßen, fühlte sie sich schon viel besser. Aber sie wusste, dass der Eindruck täuschte. Sie erinnerte sie sich noch genau, wie sie bei dem Sprung von Dach zu Dach mit dem Fuß umgeknickt war.
»Es ist ein Extrakt aus dem Saft der
Jarala«,
erklärte sie. »Diese Pflanze wächst nur im Lus’an. Als Kahati darf … durfte ich keinen Schmerz zeigen, unter keinen Umständen. Das hätte Zuias Ansehen geschmälert.«
»Aber der Trank hat dich nicht geheilt, oder?«, fragte Nolan.
»Nein. Er betäubt nur den Schmerz.«
»Dann beweg dich bitte nicht unnötig!«, bat er. »Ich helfe dir, dich auf die Trage zu legen.«
Zejabel wandte den Kopf zu der Bahre, auf die er deutete. Zu ihrem Erstaunen waren es zwei, obwohl alle Erben auf den Beinen waren.
»Ihr wolltet gerade aufbrechen?«
»Wir gehen zurück zum Hafen«, bestätigte Nolan.
Zejabel machte einen Schritt vorwärts, dann einen zweiten und dritten, bevor sie sich bei Nolan unterhakte und sich auf ihn gestützt zu dem kleinen Fenster schleppte, an dem Keb Wache gehalten hatte. Sie spähte kurz auf die Straße hinaus und drehte sich dann zu den anderen um. Die Erben konnten immer noch nicht fassen, wie schnell sie sich erholt hatte.
»Ihr könnt mich unmöglich auf diesem Ding durch die Stadt tragen«, stellte sie fest. »Wir würden alle Blicke auf uns ziehen.«
»Aber es gibt keine bessere Lösung«, meinte Eryne.
»Doch. Ich schaffe das schon, wenn einer von euch meinen Bogen und mein Bündel trägt«, erklärte Zejabel und öffnete die Tür.
Ohne eine Antwort abzuwarten, trat sie auf die Straße hinaus und wandte sich dem Fluss zu, der in der Ferne glitzerte.
Ich muss nur langsam gehen und die Zähne zusammenbeißen,
sagte sie sich.
Ein Schritt nach dem anderen.
In den vielen Jahren, in denen sie Zui’a gedient hatte, hatte sie viel Schlimmeres überstanden und dabei ihr Leben für nichts und wieder nichts riskiert.
Wie alle anderen kam Cael nicht umhin, Zejabels Willenskraft zu bewundern. Unterwegs wurde sie mehrmals kreidebleich und musste sich bei Nolan unterhaken, um gegen den Schwindel anzukämpfen, aber sie hielt bis zum Hafen und sogar bis an Bord der
Rubikant
durch. Nicht ein einziges Mal wurden sie von Passanten schief angesehen oder angesprochen. Und falls die goronischen Mörder ihnen auf den Fersen waren, ließen sie sich zumindest nicht blicken.
Trotzdem war der Weg lang und beschwerlich gewesen, und so protestierte Zejabel nicht, als Eryne ihr befahl, sich sofort hinzulegen. Außer Keb und Amanon, die an Deck blieben, um den Hafen zu überwachen, begleiteten alle die Verletzte in ihre Kajüte.
Angesichts von Zejabels Tapferkeit fühlte sich Cael noch unwürdiger als ohnehin schon. Es verging keine Dezime, in der er nicht an jenen grauenvollen Moment dachte, als er das Rapier auf seinen Cousin gerichtet hatte und nahe daran gewesen war, zum tödlichen Schlag auszuholen.
Fast hätte ich das einzige Familienmitglied, das mir geblieben ist, mit eigenen Händen umgebracht!
Und das nur, weil Amanon ihm zuvorgekommen war und das grässliche Ungeheuer niedergestreckt hatte.
Auch diesmal hatte die Stimme, die manchmal in seinem Kopf ertönte, seinen Arm geführt. Dabei hatte er einen Augenblick lang geglaubt, sie kontrollieren zu können: Als die Stimme mächtiger wurde, hatte er keinen Widerstand geleistet, und das hatte ihm
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