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Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen

Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen

Titel: Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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immer stärker zu offenbaren. Nichts würde verhindern, dass sie von Dekant zu Dekant mehr von ihrem Menschsein verlor und zur Einsamkeit verdammt wurde. Keine der vermeintlichen Gaben, die sie entwickeln würde, konnte sie über diese Erkenntnis hinwegtrösten. Es sei denn, sie würde irgendwann in der Lage sein, die Zeit zurückzudrehen und all diese Tragödien ungeschehen zu machen, doch diese Vorstellung war so absurd, dass sie ein bitteres Lachen ausstieß.
    Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie zusammenfuhr, als es plötzlich an der Tür pochte. Es klopfte ein zweites und drittes Mal, und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Im ersten Augenblick war sie versucht, es einfach zu ignorieren, doch dann gewann ihr Wunsch, nicht länger allein zu sein, die Oberhand. Nachdem sie sich die Tränen abgewischt hatte, stand sie auf und öffnete bemüht gelassen die Tür. Es war Kebree. Er hielt eine Flasche und zwei Kelche in den Händen und hatte sein verführerischstes Lächeln aufgesetzt.
    »Ich glaube, ich komme gerade recht«, sagte er und trat unaufgefordert ein.
    Einen Augenblick lang bereute Eryne ihre Entscheidung, denn eigentlich stand ihr wirklich nicht der Sinn nach Kebs Annäherungsversuchen. Sie überlegte, ob sie ihn fortschicken sollte, griff dann aber doch nach dem Glas, das er ihr eingeschenkt hatte, und erkannte beim ersten Schluck, dass es sich um einen edlen lorelischen Wein handelte. Der Geschmack rief die Erinnerung an Abende im Kreis ihrer Familie wach, an den Weinkeller, den sie in ihrem Haus gehabt hatten, und plötzlich überfiel sie so heftiges Heimweh, dass sie den Kelch abstellte und das Gesicht in den Händen vergrub.
    »Ist er wirklich so ungenießbar?«, fragte Keb heiter. »Dabei habe ich den besten Wein bestellt, den sie haben … Offenbar hat hier niemand mehr Angst vor wallattischen Barbaren. Die Wirte betrügen uns nach Strich und Faden.«
    Seine Scherze zeigten keine Wirkung, so tief saß Erynes Kummer. Wie viele Tränen hatte sie schon vergossen, seit Reyan und Lana verschwunden waren! Als Keb ihr seine großen, warmen Hände auf die Schultern legte, durchlief sie ein wohliger Schauer. Die Geste war unerwartet zärtlich und liebevoll, als wollte er sie tatsächlich einfach nur trösten. Dafür war sie ihm so dankbar, dass sie sich unvermittelt an seine Brust schmiegte, wie eine gewöhnliche Sterbliche, die die Arme eines Mannes um sich spüren will. Wie eine Frau aus Fleisch und Blut, mit menschlichen Bedürfnissen, die nichts mit göttlichem Schicksal und großen Taten zu tun haben …
    Nach der ersten Überraschung zog Keb sie fest an sich. Eryne wurde heiß, und sie drückte sich noch enger an ihn, vergrub den Kopf an seiner Schulter und wollte ihn am liebsten nie mehr loslassen. Er begann, ihr sanft über die Haare zu streichen und tröstende Worte ins Ohr zu flüstern. Seine tiefe, warme Stimme fachte ihr Begehren an, aber sie wollte sich ihm noch nicht hingeben. Doch dann wurde Kebree kühner: Er küsste sie auf die Stirn, auf die Schläfen, die Lider und schließlich auf die Lippen, und sie erwiderte seinen Kuss voller Leidenschaft, so sehr sehnte sie sich danach, sich als Mensch zu fühlen, zu spüren, wie das Blut durch ihre Adern pulsierte und Wellen der Lust ihren Körper durchströmten.
    Sie hatte bereits einige Liebhaber gehabt, doch die wenigsten waren so einfühlsam gewesen wie Keb. Und so ritterlich. Als sie ihn mitten in der Nacht bat, alles zu vergessen, was sich in dem Herbergszimmer zugetragen hatte, protestierte er mit keinem Wort, sondern legte ihr nur sanft die Hand auf den Rücken und ging dann mit einem Lächeln zur Tür hinaus. Es war kein Grinsen, wie sie es sonst von ihm kannte, eher eine liebevolle kleine Geste, mit der er ihr zu verstehen gab: »Ich kann warten.«
    Als sie wieder allein war, fiel Eryne in einen schweren, wohligen Schlaf, ohne sich weiter über ihr göttliches Schicksal Gedanken zu machen. Zumindest für den Moment war diese Sorge vergessen.
    Doch im Traum sah sie vor sich, wie Kebree und Amanon gegeneinander kämpften, und hörte sich selbst schreien, wieder und wieder, als Amanon mit blutverschmierter Schläfe zusammenbrach.
    Nolan war nicht gerade glücklich über den Vorfall. Wie die anderen hatte er Keb am Vorabend im Zimmer seiner Schwester verschwinden sehen und war mitten in der Nacht wach geworden, als der Wallatte in sein Bett schlüpfte. Er hatte gehört, wie sich Amanon noch eine ganze Weile schlaflos hin- und

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