Die Kriegerin der Kelten
von ihr fort. Wenn sie ihre Augen noch etwas länger geschlossen gehalten oder ihm zumindest auch weiterhin den Rücken zugedreht hätte, so hätte Breaca glauben können, eine vollkommen alterslose Stimme zu hören, eine Stimme, die die Erschöpfung, die Breaca unter dem unerbittlichen Licht der Öllampe in Theophilus’ Zügen gelesen hatte, Lügen gestraft hätte.
Mit bemerkenswert ruhigem Tonfall fragte er: »Bist du zu mir gekommen, weil du meine Hilfe als Arzt brauchst? Wie mir scheint, hat Airmid an dir doch bereits sehr gute Arbeit geleistet. Obwohl die endgültige Heilung deiner Seele natürlich noch wesentlich länger dauern wird als die Heilung deines Körpers.«
Breaca wandte sich zu ihm um und versuchte, nicht gleich schon wieder unwirsch auf ihn zu reagieren. »Ist das denn so offensichtlich? Oder weißt du das alles etwa von den Veteranen, die dir nach ihrer Rückkehr und bei ein paar Bechern Wein von ihrem Erlebnis erzählt haben?«
»Sowohl als auch.« In einer Art entschuldigender Geste zuckte er leicht mit den Schultern. Sein Gesicht war lang, von tiefen Furchen durchzogen und schimmerte fast schon gräulich unter dem unruhig flackernden, orangeroten Schein der Lampe. »Die Veteranen haben während ihrer Trinkgelage davon gesungen. Zumindest in jenen wenigen, noch scheinbar sicheren Tagen vor der Belagerung Camulodunums, damals, als sie glaubten, sie bräuchten irgendetwas, das sie von der Erinnerung an die Erniedrigung ablenkte, die sie unter Corvus hatten erleiden müssen. In ihren Liedern sangen sie davon, wie ihre Legion eine Frau aus dem Stamme der Eceni auspeitschte. Und dann, wenn die Wirkung des Weins sie vollends in ihren Bann schlug, prahlten sie mit dem angeblich nicht mehr gutzumachenden Schaden, den sie deinen beiden Töchtern zugefügt hätten. Ich kann dir gar nicht sagen, wie aufrichtig und von ganzem
Herzen ich all dies bedaure. Aber was dich betrifft, so hätte ich den Großteil deines Leids auch ohne diese Lieder sofort erkannt. Es zeigt sich in deinen stummen Klagen und dem schwarzen Wind, der durch deine Seele zu streifen scheint. Und dieser Wind ist einfach nicht zu überhören, zumindest, wenn man weiß, wie man auf derlei Dinge zu lauschen hat. Dein Bruder trägt im Übrigen ein ganz ähnliches Leiden mit sich herum, was auch der Grund ist, weshalb ich dich zuerst mit ihm verwechselt hatte. Denn so viel immerhin musst du mir und meinem Talent als Arzt schon zugestehen: Das Klagelied der Seele, die Trauer um das, was verloren scheint, habe ich noch bei keinem Menschen überhört. Und du willst doch wohl nicht, dass ich ausgerechnet meinen Freunden gegenüber nun zu lügen beginne und so tue, als würde ich euren Gram nicht wahrnehmen?«
In der Tat, Theophilus war ein echter Freund. Denn er hatte Breaca die Warnung vor dem Prokurator zukommen lassen und dadurch ihr Kriegsheer gerettet, zu einer Zeit, als eine Entdeckung das sichere Ende jeglichen Versuchs bedeutet hätte, jemals ein Heer aufzustellen. Und auch davor hatte er sich bereits als Freund von Airmid und Graine erwiesen, als Freund von Cunomar und Corvus, jenem Römer, der einst Valerius geliebt hatte und ihn wahrscheinlich weiter vergötterte. Und auch Valerius schien Corvus noch immer zu lieben. Außerdem hatte Theophilus Breaca dabei geholfen, Eneit zu töten, als ein rascher Tod das Einzige war, was sie noch für den Jungen hatten tun können. Und für all dies und den Anstand, der alledem zugrunde lag, schuldete Breaca Theophilus vorbehaltlose Aufrichtigkeit.
Der Rand des Brunnens war aus grobem Felsgestein gearbeitet, und in den Mörtel, mit dem man die Oberfläche geglättet hatte, war anschließend mit einer Art Stempel die Silhouette der fischschwänzigen Ziege eingedrückt worden, sodass sich nun ein Ring hintereinander hertrottender Fabeltiere um den Brunnen schloss. Unmittelbar neben einem dieser Geschöpfe hatte Breaca sich auf den Rand gesetzt und zeichnete nun mit dem Finger den leicht gekräuselten und schuppigen Schwanz der Silhouette nach.
»Valerius hat seine innere Mitte gefunden, ist nun sowohl Heiler als auch Träumer«, erklärte sie. »Es gibt Dinge, die er vermag, die Airmid aber niemals beherrschen wird. Und natürlich gibt es auch Dinge, die sie beherrscht, die zu erlernen Valerius aber noch nicht einmal versuchen wird. Und dennoch...«
»Und dennoch versuchst du mit ihrer beider Unterstützung einen Krieg zu führen. Du, deren Seele entzweigebrochen ist und deren Körper nicht mehr
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