Die Kriegerin der Kelten
ein kleines Stück zu sich her, sodass ihr Kopf irgendwann in der Kuhle zwischen seinem Hals und seiner Schulter zu liegen kam und sie seinen schwachen Schweißgeruch riechen konnte und den leicht männlichen Duft, der für sie zugleich der Geruch ihres Vaters war. Als sie schließlich in Theophilus’ Kleidung auch noch die Gerüche fremder Feuer erahnte, konnte sie weinen. Die Nase in das weiße Leinen seiner Kleidung gepresst, folgte auf ihre Tränen langsam ein ihren ganzen Körper erschütterndes, krampfhaftes Schluchzen, ein Weinen, wie sie es seit ihrer Kindheit nicht mehr geweint hatte, und vielleicht noch nicht einmal damals.
Breaca keuchte, befürchtete fast, sich übergeben zu müssen, versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen, atmete hastig und tief zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
»Breaca, Breaca...«
Theophilus hatte das Kinn auf ihren Kopf gelegt, sodass seine Stimme nun sanft durch ihr Haar drang. Er tätschelte ihr die Wange, streichelte zart mit den Fingerspitzen darüber. Irgendwann, als er die Hand schließlich wieder fortzog, war sie benetzt von Tränen und Nasenschleim, und dennoch wischte er sie nicht sogleich an dem Tuch an seinem Gürtel ab. Stattdessen hielt er Breaca einen Becher an die Lippen und leerte seinen Inhalt vorsichtig in ihren Mund.
Argwöhnisch kostete Breaca von dem Getränk, stellte dann aber fest, dass es weder Mohnextrakt noch Eisenkraut noch Hundswehr oder irgendeine andere jener Arzneien enthielt, die sie im Augenblick beim besten Willen nicht zu sich nehmen wollte, und trank schließlich den ihr dargebotenen Aufguss aus. Die Wirkung setzte ein wenig unterhalb ihres Zwerchfells ein, und abermals begann Breaca zu schluchzen. Abrupt hielt sie die Luft an, wollte sich beherrschen.
Aber schon schüttelte Theophilus sie behutsam bei den Schultern, ganz so, wie ein Vater ermahnend sein Kind schüttelte. »Du willst dir wohl immer noch keine Schwäche zugestehen, nicht einmal jetzt, nicht wahr? Lass endlich los, Frau. Weine, wenn du weinen musst. Schrei, wenn du dich danach fühlst. Außer mir hört das niemand. Und falls es dennoch irgendwelchen anderen zu Gehör kommen sollte, dann werden die wahrscheinlich glauben, dass es wieder mal Peltrasius ist oder der Geist von Cunobelin, je nachdem, wie lebhaft ihre Fantasie ist. Wann hast du eigentlich das letzte Mal geschlafen? Und ich meine, richtig geschlafen, frei von Drogen und Fieber und den Angstträumen vor dem Krieg?«
Eine andere Stimme antwortete: »Wahrscheinlich als sie zwölf war, denke ich. Damals, ehe ihre Mutter starb. Und vielleicht gab es auch noch ein paar Nächte auf Mona in den Armen von Caradoc, oder, in jüngerer Zeit, an der Seite von Airmid, in denen Breaca sich und alles, was auf ihr lastete, endlich einmal vergessen konnte.«
Stille breitete sich im Brunnenraum aus, und nur die unregelmäßigen Atemzüge von Breaca waren noch zu hören.
»Valerius?«, fragte sie zaghaft.
Er befand sich irgendwo zu ihrer Linken, doch sie konnte ihn nicht sehen. Stattdessen stellte sie fest, dass eine seltsame, allem Weltlichen entrückte Klarheit sich in ihr ausbreitete, als sie seine Stimme hörte. Jene gleiche Klarheit, die sie auch gespürt hatte, als er während ihrer Fieberträume zu ihr gesprochen hatte. Jetzt jedoch litt sie unter keinem Fieber mehr, sondern schien eher in Verzweiflung zu ertrinken. Die kleine Öllampe log, denn um Breaca herum herrschte kein Licht mehr, sondern Finsternis - zumindest in Breacas Wahrnehmung. Und selbst das, was Breaca noch in der Finsternis zu erkennen glaubte, verschwamm hinter einem Schleier aus Tränen.
Vorsichtig ergriff ihr Bruder ihre Hand. Niemals könnte sie seine Berührung mit der irgendeines anderen Menschen verwechseln. Seine Finger waren kühl und trocken und fest.
»Mein Vater hat ein ganzes Jahr lang Tag und Nacht nichts anderes getan, als an meiner Heilung zu arbeiten. Sogar dann, wenn ich selbst gar nicht gespürt habe, dass er an meiner Gesundheit arbeitete. Und wie Theophilus dir sicherlich bestätigen wird, ich bin trotzdem noch nicht wieder gänzlich genesen. Aber es geht mir immerhin schon wesentlich besser. Und auch dir können wir die Zeit für deine Genesung verschaffen. Wenn du es denn willst.«
Endlich hatte Breaca ihre Gefühlsregungen wieder weitgehend unter Kontrolle bekommen. Vielleicht war es die Anwesenheit ihres Bruders, die ihr wieder Kraft und Selbstbeherrschung verliehen hatte, oder aber Theophilus’ stille, die
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