Die Kriegerin der Kelten
beigewohnt?« Dicht schien das Gesicht des Gouverneurs über dem von Corvus zu schweben. Die blutunterlaufenen Augen waren tränennass in dem unablässig wehenden Wind. Und der Zorn - oder vielleicht war auch dies dem Wind zuzuschreiben - hatte seine Nase so rot werden lassen wie einen Hahnenkamm. Zudem rann ein ständiger Strom von Schleim aus ihren Löchern hervor. Der Gouverneur erinnerte an eine lächerliche Figur in einem primitiven griechischen Possenspiel.
Wie es der Zufall wollte, war Corvus tatsächlich schon einmal Zeuge einer Dezimierung geworden. Die Erinnerung daran hatte er allerdings sorgsam in die hintersten Ecken seines Bewusstseins verbannt, dorthin, wo sie nicht ohne Vorwarnung einfach wieder hervorbrechen und ihm letztlich doch noch den Verstand rauben konnten. Und auch jetzt achtete Corvus sorgfältig darauf, sich auf keinen Fall allzu genau an das Geschehen während der Dezimierung zu erinnern, und entgegnete: »Nein.«
Noch immer gurgelte das Meer ihm durch Ohren, Kehle und Stirnhöhle. Und es klebte auch auf seiner Netzhaut, sodass er Probleme hatte, überhaupt klar sehen zu können. Oder vielleicht war Letzteres auch bloß eine Nachwirkung von dem Räucherwerk der Träumer, denn auch auf Mona hatte er seine Umgebung nicht richtig erkannt.
In jedem Fall war es das Meer und nicht etwa die Insel, das ihm die Sinne geraubt hatte, und selbst seine Nase und sein Hals waren von der Sole derart verätzt, dass er in diesen Regionen bloß noch ein Gefühl der Taubheit spürte. Selbst den Gestank des Wolfsfells von Ursus, der im Übrigen ganz in Corvus’ Nähe stand, konnte er nicht mehr wahrnehmen - es hatte einmal eine Zeit gegeben, und die lag erst weniger als einen Tag zurück, in der Corvus dies gewiss für eine Art Wunder gehalten hätte. Mittlerweile aber schien ihm der teilweise Verlust seiner Sinne bloß noch als ein weiterer Meilenstein auf seinem Weg in das endgültige Verderben. Er dachte darüber nach, wie merkwürdig so eine Welt ohne Gerüche doch war, und für einen kurzen Moment war diese Überlegung sogar wichtiger als die Drohung des Gouverneurs.
»Corvus...«
Corvus seufzte und unternahm keinerlei Anstrengung mehr, diesen Ausdruck der Erschöpfung zu unterdrücken. Denn dort, am leewärts gelegenen Strand von Mona, hatte er in die Augen und die Herzen von Dingen geblickt, die noch wesentlich schrecklicher waren, als der Tod es jemals sein könnte. Und selbst Luain mac Calma hatte Corvus nur versprochen, dass dieser am Leben bleiben würde, nicht aber, dass er auch seine physische Gesundheit behielte. Und was die geistige Unversehrtheit des Präfekten anging, hatte der Träumer schon gar keine Versprechungen mehr gemacht.
Erschöpft entgegnete Corvus: »Der zweite Gouverneur von Britannien, Scapula, hatte damals, während der Aufstände der Eceni, gedroht, die Zwanzigste Legion von Camulodunum einer Dezimierung zu unterziehen. Dann aber war er zu dem Ergebnis gelangt, dass ihm zu einem solchen Akt letzten Endes wohl doch die Befugnis fehlte. Diese Männer hier aber befinden sich noch immer in der Gewalt des Meeres und der Träumer. Sie sind zu erschöpft, um laufen zu können. Die meisten von ihnen können nicht einmal mehr aufrecht stehen. Selbst wenn sie Euch jetzt hören könnten, glaube ich nicht, dass sie körperlich dazu in der Lage wären, nun um ihr Leben zu losen. Vor allem aber müssten dann jeweils neun von ihnen einem Zehnten mit einem Knüppel den Schädel einschlagen. Und das, da bin ich mir sicher, schafft hier keiner mehr, egal, wie angestrengt Ihr auch nach solchen Männern suchen mögt. Und überhaupt haben die doch allesamt gerade erst die Hölle am Strand von Mona überlebt. Von denen metzelt doch keiner freiwillig einen Freund und Kameraden nieder, der eben noch tapfer an seiner Seite gestanden hat. Sicherlich, was das Töten der Auserwählten angeht, könnte das gewiss die Vierzehnte Legion übernehmen. Aber wenn Ihr jetzt die Männer der einen Legion darauf ansetzt, jeden Zehnten der anderen Legion umzubringen, dann beschwört Ihr dadurch nur eine Spaltung zwischen den Legionen des Kaisers herauf, die deutlich länger anhalten wird, als wir hier auf Erden wandeln. Selbst wenn uns noch Jahrzehnte des Lebens bevorständen.«
Der Blick des Gouverneurs schweifte einmal über die gesamte Bucht und heftete sich dann wieder auf Corvus. Er atmete tief ein und schien dies augenblicklich auch schon wieder zu bereuen. Denn Ursus’ räudiges Wolfsfell war ganz in
Weitere Kostenlose Bücher