Die Kriegerin der Kelten
Stolpern geraten, und das hatte wiederum bloß daran gelegen, dass plötzlich ein Pferd zu Boden gestürzt war und mit seinen auskeilenden Hufen zu nahe an Bellos’ Kopf geraten war.
»Nein, das weißt du nicht«, widersprach Bellos ihr. »Aber vielleicht bist du ja taub, während andere noch hören können. Das ist zwar nicht das Gleiche, wie blind zu sein, aber es ist auch nicht einfach. Möchtest du noch mehr über den Toten wissen?« Damit nahm er ihr seinen Stock wieder ab und trocknete den Griff an seiner Tunika. Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort: »Er war ein Kavallerist. Sein Pferd wurde an diesem Morgen getötet, und Corvus hatte ihm dafür ein anderes geschenkt. Darum hatte er sich auch möglichst dicht an den Dekurio gehalten, als sie die Meerenge überquerten. Und genau das hatte ihm wiederum das Leben gerettet, als die See die Legionare verschlang. Dann aber, als Corvus mit seinen unmittelbaren Untergebenen kam, um seine Männer wieder zurück ans Festland zu geleiten, wurde der Mann plötzlich von einem seiner Kameraden angegriffen. Er war schon zu weit in die Welt der Träume abgedriftet, als dass er noch in der Lage gewesen wäre, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden.«
»Meinst du den Kavalleristen oder den Legionar?«
»Beide. Aber während der Rest der Kavallerie sich langsam wieder erholte, lag dieser Mann hier bereits im Sterben. Denn im Gegensatz zu den Legionaren konnten die Kavalleristen noch genug erkennen, um zu wissen, wo die See aufhörte und das Land anfing, sodass nicht alle von ihnen in dem Chaos der Albträume endeten, so, wie es den Legionaren erging. Corvus hat als Einziger wirklich verstanden, was sich gerade am Strand ereignete. Und es war gut, dass dein Feuertraum dir verraten hatte, dass wir Corvus am Leben lassen sollten.«
Doch das stimmte nicht! Graines Magen schien sich selbst zu verschlingen, und Übelkeit übermannte sie. »Nein, das ist nicht das, was ich in den Flammen gesehen habe«, widersprach sie. »Ich habe gesehen, wie die gesamte Kavallerie und sämtliche Legionssoldaten sich gegenseitig umgebracht haben. Und zwar bis auf den letzten Mann. Nur Corvus überlebte das Massaker.«
Grübelnd ließ sie den Blick über die Meerenge schweifen. In weiter Ferne, dicht am Ufer des Festlands, lavierte der erste der römischen Leichter mit Hilfe der auf der Leeseite sitzenden Ruderer rückwärts durch die Wellen und drehte sich dann mit der Breitseite zum Ufer, um die Verwundeten und Erschöpften zumindest so nahe an den rettenden Strand zu bringen, wie es, ohne auf Grund zu laufen, nur irgend möglich war.
Sobald Corvus am Strand von Mona wieder zu sich gekommen war, hatte er auch schon wieder das Kommando über seine Truppe übernommen und den Männern befohlen, die Insel so schnell wie möglich zu verlassen. Überraschenderweise verlief das ganze Manöver in annähernd geordneten Reihen. Dieses vorläufige Ende der Schlacht entsprach allerdings nicht dem, was Graine in ihrer Vision gesehen hatte.
»Der Gouverneur hat nur die Hälfte seiner Männer ausgeschickt, um uns anzugreifen«, erklärte Graine leise. »Und die Hälfte dieser Hälfte hat es wieder zurück ans Festland geschafft. Es sind also nur zwei Legionen in den Feuern auf Mona umgekommen. Um meinen Traum zu bewahrheiten, hätten wir sie aber in jedem Fall alle umbringen müssen.«
Dieses Mal dauerte es noch länger, ehe Bellos etwas erwiderte. Lange genug, dass der auf den Wellen schaukelnde Leichter den batavischen Kavalleristen wieder hinaus ins offene Wasser der Meerenge treiben konnte, wo irgendwann die Strömungen ihn erfassten und langsam um seine eigene Achse kreiseln ließen. Dann wurde dieses Kreisen schnell und schneller, bis er mit jeder Umdrehung zunehmend tiefer hinuntergezogen wurde und sein wirbelnder, strohgelber Schopf schließlich unter der Wasseroberfläche verschwand und nicht mehr zu sehen war.
Graine spürte einen plötzlichen Sog in der Magengegend und eine seltsame Leere, ganz so, als ob mit dem Versinken des Kavalleristen in ihrem Inneren eine Art Vakuum eingetreten wäre. Sie war zornig. Und getrieben von diesem Zorn entgegnete sie: »Aber Thorn lebt doch auch noch. Dabei hattest du dich von ihr verabschiedet, als ob du glaubtest, dass sie die Schlacht nicht überstehen würde.«
»Das war für später, für den Tag, an dem sie schließlich doch sterben wird.« Bellos ging mit Graine bemerkenswert geduldig um. »Keiner lebt auf ewig. Und es kann
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