Die Kriegerin der Kelten
grundsätzlich nicht schaden, das Glück eines jeden Tages gleich dann zu lobpreisen, während wir diesen Tag noch erleben.«
Damit beugte er sich vor und ließ die Spitze seines Stocks so sacht durch das Wasser gleiten, dass für einen kurzen Augenblick eine kleine Furche entstand. Dann, in etwas ernsterem Tonfall, ergänzte er: »Hätten wir Corvus nicht am Leben gelassen, hätten die Legionare sich tatsächlich bis auf den letzten Mann gegenseitig hingemetzelt. Genauso, wie in deiner Vision. Denn sie waren zweifellos noch immer in ihrem Traum gefangen, als Corvus sie in die Leichter zwang und ihnen schließlich befahl, Mona wieder zu verlassen. Aber er ist ein guter Mann, und er hat ein Gespür für das Wesen der Götter. Mir persönlich tut es also gewiss nicht leid, dass er noch am Leben ist. Aber es kann natürlich sein, dass wir damit irgendetwas im Geflecht der Zeit verändert haben und die Zukunft sich dadurch auf eine Art und Weise verändern wird, die noch weit über das hinausgeht, was du aus den Flammen herausgelesen hast.«
Daran hatte Graine auch schon gedacht. »Als ich in das Feuer gesehen habe«, erklärte sie noch einmal, »habe ich nicht gesehen, dass wir Corvus ganz bewusst schonen, sondern nur, dass er nicht getötet wurde. Und ich habe zwei Legionen gesehen, die auf Mona eingefallen sind. Heute aber hat der Gouverneur lediglich eine seiner Legionen ausgeschickt, nämlich die Zwanzigste. Die Vierzehnte dagegen hat er zurückgehalten. In meinem Traum hatte er beide auf einmal auf uns gehetzt.«
»Richtig. Und du hast gesehen, wie Valerius und Cygfa unsere Streitmacht auf dem Küstenvorland anführten. Die Bodicea wiederum hast du nicht gesehen. Mir scheint das Ganze so, als hättest du möglicherweise zwei unterschiedliche Ereignisse zur gleichen Zeit beobachtet. Ich meine, dass ein Teil dessen, was in deiner Vision geschah, tatsächlich das war, was sich heute ereignete, und dass der Rest sich noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt bewahrheiten wird. Und selbst wenn sich der noch ausstehende Teil deines Flammentraums nicht mehr ereignen sollte, können wir an dem, was bisher hier geschehen ist, ohnehin nichts mehr ändern. Wir können nur einfach versuchen, mit dem, was uns die Götter gegeben haben, zu leben.«
Damit erhob Bellos sich. Sein Gehstock war so lang, dass er ihm bis zum Scheitel reichte, und der Griff aus Widderhorn war kunstvoll in der Form eines Krähenkopfs geschnitzt worden, mit kleinen Bernsteinen als Augen. Wie winzige Flammen schienen die Augen nun in der Sonne zu funkeln. Unter dem Griff wiederum wanden sich Schlangen über den Stab, manche schienen das hölzerne Kunstwerk zu erklimmen, andere glitten daran hinab.
»Mac Calma hat dich zum Träumer Brigas ernannt«, stellte Graine fest.
Bellos lächelte sanftmütig. »Ich denke, dazu wurde ich schon vor langer Zeit ernannt. Unser Vorsitzender des Ältestenrats war lediglich derjenige, der das noch einmal in aller Deutlichkeit hervorgehoben hat, sodass selbst ich das irgendwann gesehen habe. Wollen wir jetzt wieder aufbrechen, ehe es zu dunkel wird? Für heute werden uns die Legionen bestimmt nicht noch einmal begegnen. Wahrscheinlich auch morgen nicht. Übermorgen dagegen, das könnte ich mir zumindest vorstellen, erfahren wir womöglich endlich, warum die Dinge heute diese seltsame Entwicklung genommen haben. Oder vielleicht werden wir es auch nie erfahren, sondern einfach nur weiterkämpfen wie bisher. In jedem Fall würden wir dann gegen Männer antreten, die wir schon einmal geschlagen haben. Und diese Erfahrung dürfte uns - und nicht etwa ihnen - durchaus zum Vorteil gereichen.«
Er streckte Graine die Hand entgegen. Die Geste war eine Art Entschuldigung für all die Grobheiten, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen und die dennoch nicht sein Verschulden gewesen waren.
Graine ergriff seine Hand, ließ sich von ihm hochziehen, und gemeinsam gingen sie zurück zum Großen Rundhaus. Sie wanderten über jene Pfade, die Bellos sicher ertasten und Graine noch halbwegs sehen konnte. Wege, über die sich bereits wieder der Wegerich breitete und der Bärenklau mit seinen winzigen, weißlichen Blüten, sodass er so aussah, als hätte sich feiner Raureif über ihn gelegt, während die Knospen des Rotdorns schon wieder verblüht waren. Von dem höher gelegenen Strandabschnitt aus erhob sich zwitschernd ein Brachvogel in die Luft, um beinahe im Sturzflug über das salzige Gras der Koppeln hinwegzusausen, bis er das
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