Die Kriegerin der Kelten
von Fels steht, überlebt, wenn Gott kommt.« Er dachte einen Augenblick lang nach und ergänzte dann mit einem Nicken in Richtung von Gunovar: »Und auch keine Frau.« An die Bäume gewandt, verkündete er schließlich noch: »Wenn der Coritani sauberen Tod sterben will, er soll auch mit uns runter. Im Reich des Gehörnten er kann sich nicht verstecken.«
... sauberen Tod sterben will ...
Hawk wird nicht sterben.
Laut und auf Griechisch, weil sie diese Sprache auf Mona ein bisschen miteinander geübt hatten und weil die Hirschkrieger diese von allen Sprachen vermutlich am schlechtesten verständen, rief Graine: »Hawk, verschwinde! Finde die Bodicea. Berichte ihr, was passiert ist!«
Der Wortführer der Hirschkrieger grinste seltsam, schien mit einem Mal gar kein Mensch mehr zu sein. Dann nickte er abermals, und fast hätte man glauben können, dass er Graine damit Beifall zollte, Beifall für die gewissenhafte Darbietung jener Rolle, die er ihr in seinem ganz persönlichen Ritualspiel zugedacht hatte. Dann wartete er, beobachtete die langsam immer dunkler werdende Sonne. Seine Augen schienen das rote Herz des göttlichen Feuers am Himmel geradezu in sich aufzusaugen, und tief drinnen im Bewusstsein des Kriegers wuchs etwas sehr Altes und ganz und gar nicht Vertrauenerweckendes heran. Schließlich verblasste auch das befremdliche Grinsen auf seinen Zügen, und als die Sonne fast gänzlich hinter dem Horizont versunken war, hob er den Kopf und stieß einen tiefen, dröhnenden Schrei aus, ganz ähnlich einem Rothirsch in der Brunft.
Plötzlich bewegten sich die Zweige der Bäume, und wo gerade eben noch Leere geherrscht hatte, standen nun drei Dutzend weitere Hirschkrieger, und mitten in ihrem Halbkreis stand Hawk, drei Dutzend gezogene Messer geradewegs auf seinen Rücken gerichtet. Die Krieger hatten ihn bereits verletzt, an seiner einen Wange sickerte aus einem schmalen, senkrechten Schnitt Blut, sodass auch Hawk nun einen roten Streifen im Gesicht trug. Es war schwer zu sagen, ob dies eine Art Parodie darstellen sollte oder ob mit diesem Schnitt ein Ritual eingeläutet wurde.
Ungläubig starrte Graine auf Hawks entstelltes Gesicht. Ein Teil ihrer selbst trat aus ihrem Körper heraus, trennte sich von ihrem restlichen Bewusstsein und rettete sich damit in die schützende Distanz, ganz so, wie sie auch während der Vergewaltigung ihren Körper fast gänzlich verlassen hatte. Dann, klar wie die Stimme eines Zaunkönigs, hörte sie Bellos sagen: »Nein, geh nicht! Hawk wird dich brauchen, du wirst für ihn denken müssen, musst dich schon bald um ihn kümmern. Schütze dich mit deiner eigenen Kraft und bitte auch Nemain um Hilfe.« Graine war sich nicht sicher, ob Bellos tatsächlich die Stimme erhoben hatte oder ob er bloß in ihrer Vorstellung gesprochen hatte. In jedem Fall aber hatte seine Ermahnung Erfolg, und Graine kehrte langsam in sich selbst zurück. Eine zähe Übelkeit ergriff von ihr Besitz, doch das war immer noch besser, als gar nichts zu spüren.
Der Anführer der Hirschkrieger entbot erst Hawk seinen Gruß und dann Graine, fügte die beiden damit symbolisch zu einer Einheit zusammen. Mit Lauten, die weniger der menschlichen Sprache, sondern mehr dem Grunzen von Rotwild ähnelten, wandte er sich an seine Männer und trat dann vorsichtig an den Rand der Kalksteinklippe. »Wir gehen runter«, erklärte er mit belegter Stimme. »Wer Hilfe braucht, wird Hilfe bekommen.«
Diesmal wagte es niemand mehr, ihm zu widersprechen.
Der Abstieg war ein Albtraum, an den man besser nicht mehr zurückdachte, eine fast schon selbstmörderische Klettertour, in der weißes, zerbröckelndes Gestein der einzige Halt war, der Graine vor dem Sturz in den Tod bewahrte. Und dann war da noch dieser Mann, der zwar ganz gewiss nicht zu jenen zählte, denen Graine ihr Vertrauen geschenkt hätte, der aber dennoch konsequent seinen Körper schützend gegen den ihren presste, der sie hielt, wenn ihr Fuß abrutschte, und der sie wieder an die Felswand heranzog, wenn ein vermeintlicher Halt unter ihren Händen zerbröckelte und Graine rückwärts in den Abgrund zu stürzen drohte.
Ihr war schrecklich schwindelig, und ihre Eingeweide rebellierten, doch auch Bellos’ mahnende Worte blieben ihr stets gegenwärtig. Beharrlich hielt sie im Geiste an dem letzten Bild von Hawk fest, vergegenwärtigte sich immer wieder dessen Gesicht mit dem blutroten Messerschnitt, der senkrecht über seine Wange verlief. Und dieses Bild verlieh
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