Die Kriegerin der Kelten
schnüffelte prüfend.
Graine, die dem Tier folgte, erstarrte mitten in der Bewegung. Sie lag mit dem Gesicht nach unten in dem hohen Gras, während der Morgennebel sie umwaberte wie der Rauch von einem Feuer und ihr Haar durchtränkt war von Tau.
Sie fühlte die Gegenwart des Hasen, erahnte in ihrer Brust nicht nur ihren eigenen Herzschlag, sondern auch den seinen und versuchte, dem Hasen einen Teil ihrer eigenen Lebensenergie zu schenken, so wie sie auch versuchen würde, eine kleine Flamme auf zu feuchtem Feuerholz mit ihrem Atem langsam anzufachen. Vorsichtig und voller Angst, diesen zarten Puls mit ihrem eigenen, im Vergleich dazu regelrecht plumpen Geist zu erdrücken, sandte sie nur die leisesten aller Gedanken in das Herz des Tieres. Das Gefühl des Einsseins mit dem Hasen war ein eigenartiges, mürbes und zugleich auch kitzelndes Gefühl, das ganz fein an den tiefsten Wurzeln von Graines Bewusstsein zupfte. Doch Graine spürte auch ein stechendes Gefühl der Hast, das jedoch nicht aus ihrem eigenen Erleben stammte und auch nicht von ihrer Mutter, die nur einen Speerwurf von ihr entfernt saß, oder gar von Stone, der dicht an ihrer rechten Seite lag, sondern auch dieses Gefühl entstammte keinem anderen Wesen als jenem Hasen, der dort unmittelbar vor ihr saß.
Diese vier - Graine, ihre Mutter, der Hund und der Hase - waren alle Teil der Jagd. Und Graine war Mittelpunkt ihres Knüpfwerks. Angestrengt hämmerte ihr Herz, wollte einfach nicht ruhig sein. So hatte sie nicht mehr empfunden, nicht mehr gefühlt , seit die Männer des Prokurators über sie hergefallen waren. Und wahrscheinlich hatte sie noch nicht einmal vor der Vergewaltigung eine derart scharfe Wahrnehmung gehabt. Er war fast so, als ob man ihr nach langen Monaten der Blindheit endlich das Augenlicht wiedergeschenkt hätte, als ob die Welt plötzlich noch viel mehr Farben bereithielte als zuvor. Nur allzu gerne wollte Graine Bellos von diesem Erlebnis berichten, war sich aber nicht sicher, ob die Schilderung eines solch farbenfrohen Erlebnisses ihm, dem Blinden gegenüber nicht ein wenig taktlos wäre.
Der Hase entspannte sich wieder. Die fernen Geräusche, die aus dem Lager herüberschallten, waren nicht mehr ganz so verstörend wie noch vor einer Weile, und die Schädeltrommeln der Bärinnenkrieger, die schon lange, ehe die Morgendämmerung heraufzog, ihr Dröhnen aufgenommen hatten, zerrten deutlich weniger eindringlich an ihren Nerven.
Vorsichtig schob Graine sich ein kleines Stück weiter vorwärts. Sie hatte nie eine Jägerin sein wollen, aber heute hatte ihre Mutter sie genau darum eindringlich gebeten. Die Bodicea, jene verwirrende Fremde, die ihr zugleich so unendlich vertraut war. Sanft hatte sie Graine am Fußknöchel berührt und ihr einen Haferkeks angeboten sowie etwas Flusswasser, gewürzt mit getrockneten Holunderblüten. Dann hatte Breaca Graine fest an sich gepresst und sie auf den Scheitel geküsst. Warm war ihr Atem über das Haar ihrer Tochter gestrichen, und sie beide hatten einen winzigen Augenblick der Geborgenheit genossen inmitten einer Welt, in der bloß noch Chaos zu regieren schien. Und genauso wie das Zusammensein mit Airmid, so war auch dies ein Moment, den Breaca voller Dankbarkeit tief in sich aufgenommen hatte, ehe der heraufdämmernde Morgen schließlich auch diesen Frieden zerstören würde.
»Möchtest du mir vielleicht dabei behilflich sein, einen Hasen zu finden?«, hatte Graines Mutter gefragt. »Es sollte eine kräftige, junge Häsin sein, die bereits Junge in ihrem Bauch trägt. Andererseits sollte ihre Trächtigkeit auch noch nicht zu weit fortgeschritten sein - sie sollte noch flink genug rennen können. Wir werden sie auch bestimmt nicht töten. Mir ist da nur so eine Idee gekommen, eine Sache, die uns heute vielleicht noch von Nutzen sein könnte.«
Zweifellos hatte Breaca vor ihrem Besuch bei ihrer Tochter bereits einige Zeit mit Airmid verbracht. Graine erkannte dies an der schützenden Aura, die sich während dieses Zusammentreffens um die Bodicea gebreitet hatte und sie noch immer umschwebte. Außerdem schien ihr Blick um eine Nuance schärfer geworden zu sein, sodass sie nun fast so aussah wie die Ältere Großmutter, abgesehen davon, dass die Zuneigung und Fürsorge, die sie beide für ihr Volk empfanden, aus Breaca wesentlich deutlicher hervorstrahlten, als die Verstorbene es sich jemals hatte anmerken lassen. Und genau diese Wärme in Breacas Blick hatte den Morgen schließlich um
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