Die Kriegerin der Kelten
sprach dann plötzlich von einem Buchfinken, einfach, weil er das Gefühl hatte, dass dort sicherlich gerade ein Buchfink sitzen müsse. Und dann, zu Bellos’ eigener Überraschung, sah er vor seinem geistigen Auge, wie mac Calma einen Fuß anhob und in der linken Hand ein gezogenes Schwert hielt. Und Bellos spürte auch, wie mac Calma den Kopf ein wenig zur Seite neigte und spöttisch eine Braue hochzog.
Pikiert erklärte der Junge: »Und du stehst mit dem rechten Fuß auf dem ersten Trittstein und trägst eine Waffe bei dir, die nicht für dich geschmiedet worden ist.«
»Ach, wirklich? Und für wen soll diese Waffe denn geschmiedet worden sein?«
Ein Hauch von Zweifel schien in der Stimme des Ratsältesten mitzuschwingen, schien Bellos geradezu herauszufordern, sodass dieser hastig entgegnete: »Valerius hat das Schwert einfach nur so geschmiedet, um des Schmiedens willen. Er hatte niemand Bestimmten im Sinn, der die Waffe einmal führen sollte. Aber dann kamst du in seine Schmiede in Hibernia marschiert, während Valerius gerade an dem Schwert arbeitete, und du erzähltest ihm von seiner Schwester, teiltest ihm mit, dass sie tot sei. Und nun leben in dem Schwert die Ängste und der Zorn genau dieses Tages.«
»Woher weißt du das alles?«
»Ich habe es gehört, als du mit dem Finger auf das Eisen getippt hast. Woher soll ich es denn sonst wissen?«
»Wenn du mir sagen kannst, wie du, nur indem jemand mit dem Finger auf eine Waffe tippt, hören kannst, was der Schmied gefühlt hat, als er diese Waffe schmiedete, dann würde ich mich von dir in dieser Kunst nur allzu gerne unterrichten lassen.«
Mit einem Mal schien ihm mac Calmas Stimme viel näher zu sein. Bellos hatte einen leichten Luftzug gespürt, ein leises Scharren, als wenn Füße über Steine huschten, und dann eine Hand, die plötzlich nicht mehr da war, wo sie eben noch gewesen war. In der dunklen Welt von Bellos’ Blindheit hatte der Reiher sich nun in einen Mann verwandelt, einen nur allzu lebendigen Mann, und jede einzelne Linie in dem Gesicht des Ratsvorsitzenden von Mona war klar zu erkennen. Jetzt, da mac Calmas Gesicht ganz dicht über Bellos zu schweben schien, war es kaum mehr zu verleugnen, dass mac Calma Valerius’ Vater war. Ihre Gesichter hatten einfach zu viele Gemeinsamkeiten.
Gekränkt, fast schon verletzt wich Bellos ein kleines Stück zurück. Er spürte, wie es in seinen Augäpfeln zu prickeln schien und wie die Haut an seinem Hals sich mit hektischen roten Flecken überzog. »Ich bin kein Seher. Denn wenn ich tatsächlich wüsste, was die Zukunft bereithält, hätte ich doch nicht ausgerechnet jenen Pfad gewählt, der mich in die Blindheit führt, oder? Ich kann einfach nicht der sein, zu dem du mich so gerne machen würdest. Warum können wir die Sache nicht einfach sein lassen? Selbst wenn ich ein Römer wäre, würdest du mich nicht derart quälen.«
»Ist es tatsächlich eine Qual für dich, Bellos? Empfindest du das wirklich so?« Mac Calma war dem Jungen gefolgt. Kühle, schwielige Hände schlossen sich um Bellos’ Gesicht, wandten es behutsam mac Calma zu, bis dieser die feinen Tränen erkennen konnte, die über die Wangen des Jungen rannen und die Bellos nur allzu gern verborgen hätte. »Schmerzen dein Kopf und deine Augen denn noch immer?«
Ohne jede Vorwarnung brach es nach sechs langen Monaten des Schweigens plötzlich aus Bellos hervor. Haltlos schluchzend sank er zu Boden und kauerte sich auf einen Stein. »Sind denn etwa nur körperliche Schmerzen reale Schmerzen? Ich will endlich wieder sehen können, will den Ozean sehen und die Bäume und das Große Versammlungshaus, auch jetzt, wenn das Haus leer ist und nur noch ein Schatten dessen, was es früher einmal war. Ich will sehen, wie die Sonne untergeht und der Mond am Himmel aufsteigt und wie die Sturmwolken sich vor den Sternen zusammenballen. Und ich will auch all die vielen kleinen Dinge sehen. Ich will den Kratzer an der Seite des Bechers sehen, aus dem ich am Morgen trinke, ich will den Zaunkönig sehen, der aus meiner Hand frisst, ich will sehen, wie an einem windstillen Tag ein Blatt vom Baum fällt. Ich will sehen, wie in der Ferne ein Hund auftaucht. Ich will die Farbe seines Fells erkennen können. Will den Ausdruck in den Augen eines Pferdes sehen, will an seinem Blick ablesen können, ob es von Valerius zugeritten worden ist, und wenn ja, ob ich es dann reiten darf. Ich will das Erstaunen in den Augen eines frisch geborenen Lamms sehen, wenn
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