Die Kriegerin der Kelten
die Legionen waren verwoben in dem schier endlosen und augenscheinlich auch nicht zu gewinnenden Kampf gegen die Stämme des westlichen Britannien. In seiner Naivität hatte Bellos also entgegnet: »Aber die Anzahl der Krieger von Mona geht doch in die Tausende. Und ihnen stehen noch einmal so viele Träumer zur Seite. Vor allem sind die Träumer doppelt so gefährlich wie die Krieger. Wie sollte jemals irgendeine Armee mit mehr Kämpfern aufwarten, als wir es können? Zumal, wenn sie vorher erst einmal die Meerenge überqueren müssen?«
Die Tür in Bellos’ Innerem, die sich ihm gerade erst eröffnet hatte, schien sich wieder zu schließen, der Spalt, durch den er nun noch spähen konnte, war schmaler geworden. Noch immer saß der Junge reglos am Bachlauf. Seine Sinne waren so klar wie noch niemals zuvor. Nie hatte er schärfer gesehen, was um ihn herum geschah, und nie hatte er eindringlicher gespürt, was es bedeutete, die Gabe des Sehens zu besitzen und zugleich mit einem Verstand ausgestattet zu sein, der sich dieser Gabe mithilfe von wirren Trugbildern hartnäckig zu widersetzen versuchte.
Doch nicht nur Bellos’ Empfindungen waren mit einem Mal andere als noch vor wenigen Augenblicken, sondern auch mac Calma schien plötzlich seltsam niedergedrückt. Trotzdem klang seine Stimme freundlich, als er erwiderte: »Wir müssen die Legionen in den Westen locken. Nur dann hat Breaca zumindest eine kleine Chance, den Osten zu befreien. Und um das zu erreichen, müssen wir wiederum Mona opfern.«
»Aber wie sollen wir Mona opfern?«
»Das wirst du schon noch sehen. Denn was mich betrifft, so werde ich ganz bestimmt keine Leben opfern, nur um noch ein paar mehr verzweifelte Helden zu schaffen. Alle, die hier leben, werden vor der Invasion nach Westen gesandt. Sie werden nach Hibernia übersiedeln. Die Schiffe warten bereits.«
»Aber dann gibt es doch niemanden mehr, um Mona noch zu verteidigen.«
»Das stimmt nicht ganz. Wir werden Mona ja nicht vollkommen unbewohnt zurücklassen. Und auch die Götter haben so ihre Wege, um das, was ihnen gehört, zu schützen. Aber selbst dann müssen wir noch damit rechnen, dass mindestens eine Legion die Insel erstürmen wird, vielleicht sogar zwei. Und wenn dieser Tag kommt, brauchen wir dich dringender, als wir jemals zuvor einen Mann gebraucht haben. Und vorausgesetzt, dass unser Volk überhaupt noch zu retten ist, dass es uns überhaupt noch nützen könnte, alles Römische ein für alle Mal zu vernichten und aus unserem Land zu vertreiben - wärst du dann bereit, all das zu lernen, was ich dich über das Wandern zwischen den Welten lehren kann?«
Es schien, als ob in diesem Moment nicht nur Bellos sondern ganz Mona den Atem anhielte. Das Plätschern des Bachs, das Geplapper der Kinder vor dem Großen Versammlungshaus, ja, selbst das Seufzen des Windes verstummte. Allein der Zaunkönig, der Tag für Tag aus Bellos’ Hand fraß, sang hell und munter weiter. Die Träumer sagten, dass der Zaunkönig der mächtigste aller Vögel sei. Er wäre der Liebling der Götter, weil allein er noch höher fliegen und noch weiter sehen könne als ein Adler. In diesem Moment, da nichts die Klarheit seines Gesangs mehr übertönte, schienen die melodischen Töne auf glitzernden Schwingen bis weit in den Himmel emporzusteigen. Und schön wie Blätter im Herbst, die zuweilen ohne den leisesten Hauch zu Boden sanken, schwebten dann, sacht, auch die zirpenden Klänge des Zaunkönigs wieder auf die Erde hinab.
»Wenn du wirklich glaubst, dass ich das schaffen könnte«, hatte Bellos geantwortet, »dann will ich gerne mein Bestes versuchen. Aber versprechen kann ich gar nichts.«
Noch einfühlsamer als sonst hatte der Reiher, der doch eigentlich Luain mac Calma war, erwidert: »Die Götter verlangen nie, dass wir eine bestimmte Sache auch tatsächlich schaffen. Sie verlangen nur, dass wir es nach besten Kräften versuchen.«
Drei Jahre lang hatte Bellos sein Bestes gegeben, um alles, was mac Calma ihn lehren konnte, in sich aufzunehmen.
Und mit jedem weiteren, durchaus erfolgreichen Jahr, das verstrich, hatte er beobachtet, wie die Opferung Monas immer näher rückte, vorangetrieben mit einer skrupellosen Entschlossenheit, die ihn mehr und mehr entsetzte.
Eine nicht unwesentliche Rolle in dieser Entwicklung hatte Valerius gespielt. Er hatte die Krieger von Mona dem bevorstehenden Krieg entgegengeführt, damit die Evakuierung von Mona auf dem kurzen Seeweg hinüber nach Hibernia
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