Die Kriegerin der Kelten
stechende Schmerz hinter seinen Schläfen wieder nach. »Ich werde nicht in dieses Schwert stürzen«, verkündete er. »Weder jetzt noch irgendwann anders. Was auch immer ich da in meiner Vision gesehen haben mag... die Zukunft jedenfalls war es nicht. Und überhaupt will ich ja auch gar kein Seher sein.«
»Was in diesem Fall eine sehr glückliche Fügung ist, denn du müsstest wohl an die zwanzig Jahre lang hart dafür üben, um deine Fähigkeiten auch nur annähernd denen eines echten Träumers anzugleichen. Und selbst dann ist es nicht immer leicht, herauszufiltern, welche Dinge sich mit absoluter Gewissheit ereignen werden und welche sich nur dann bewahrheiten, wenn auch sämtliche anderen Details der Vision sich erfüllen.«
»Gibt es denn überhaupt Visionen, die mit absoluter Sicherheit eintreten?«
»Nur sehr wenige. Zumindest meiner Erfahrung nach. Dafür gibt es umso mehr Traumbilder, die im Grunde nur von den unausgesprochenen Ängsten des Träumers zeugen. Die Vision, in der du dich selbst hast sterben sehen, war kein Ausblick auf die Zukunft, sondern nur ein Abbild deiner Angst. Das sind zwei sehr verschiedene Dinge.«
Mac Calma bückte sich, um das Schwert aufzuheben. Bellos konnte den Glanz der Klinge spüren. Und diese Wahrnehmung war keineswegs bloß Einbildung, war kein Produkt seiner Fantasie. Nein, es war mehr. Es war wie ein plötzlicher Blitz in Bellos’ Bewusstsein, ein Blitz, der ihm das Wesen der Klinge erklärte und den Mann zeigte, der die Klinge geschmiedet hatte. Und über dieser Wahrnehmung von der Geschichte der Klinge wiederum lag die Aura der Reiherseele von mac Calma, die Aura jenes Mannes, der das Schwert nun flach ausgestreckt auf seinen beiden Händen vor sich hielt.
»Im Übrigen aber hatten auch die blinden Seher der Ahnen es sich nur in den seltensten Fällen selbst ausgesucht, Träumer zu werden«, erklärte der Weise. »Darum hatte man ihre Fähigkeiten zumeist auch ganz anders eingesetzt. Und auf genau diese anderen Betätigungsfelder werden wir nun auch deine Fähigkeiten ausrichten.«
»Was meinst du damit?«
Von Angesicht zu Angesicht saßen sie einander gegenüber, während der Bach leise neben ihnen plätscherte. Das Wasser schien kurz und amüsiert zu glucksen und rauschte dann leise murmelnd über die glatten Steine davon. Die winzigen Wogen formten immer neue, flüchtige Skulpturen. Und diese Skulpturen bildeten sich auch in Bellos’ geistiger Welt ab, entstanden und zerschmolzen wieder, jedoch ganz anders als die allein von seiner Fantasie geschaffenen Bilder. Fast schien es, als ob sich in seinem Inneren leise eine Tür geöffnet hätte und das Land, das sich dahinter erstreckte, nur allzu klar zu erkennen wäre und nicht etwa unter einem Nebel des Nichtsehens verborgen lag. Bellos verschränkte die Hände um die Knie. »Ich versteh aber trotzdem nicht, warum es sinnvoll sein soll, anderer Leute Angst und Zorn sehen zu können.«
»Das verstehst du nicht? Du wirst nicht bloß Angst oder Zorn sehen, sondern auch alle anderen menschlichen Empfindungen, wenn sie nur ausgeprägt genug sind. Stell dir bloß mal vor, eine feindliche Armee würde zur Schlacht gegen uns anrücken und du wüsstest, welche Hoffnungen und Ängste genau diese Männer bewegen. Verstehst du wirklich nicht, von welch unschätzbarem Nutzen dieses Wissen für unsere Krieger sein könnte? Oder für unsere Träumer? Denn diesen von wirren Emotionen verdunkelten Köpfen einfach irgendeinen Albtraum einzupflanzen … nun, das ist keineswegs eine leichte Aufgabe. Da ist es schon wesentlich leichter, die Feinde an den Strängen ihrer eigenen Ängste zu packen - Ängste, die bereits existieren - und diese dann zu noch grauenvolleren Vorstellungen zu verknüpfen, als sie ohnehin schon durch die Gedanken unserer Feinde geistern. Männer, die voller Angst kämpfen, sterben auch voller Angst. Und sollten wir eines Tages einer möglicherweise erdrückenden Übermacht von Feinden gegenüberstehen, so könnte unsere größte und vielleicht sogar unsere einzige Hoffnung darin liegen, ihre Ängste zu erkunden und damit die verzehrenden Feuer ihrer Furcht noch weiter zu schüren.«
Zu jener Zeit, als Luain mac Calma diese Worte zu Bellos gesagt hatte, hatten noch keine Legionarsarmeen auf der anderen Seite der Meerenge kampiert. Ein Krieg, der sich auf der heiligen Insel Mona abspielte, war zur damaligen Zeit noch völlig undenkbar erschienen. Rom war nicht mehr als eine ferne Bedrohung gewesen, und
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