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Die Kriegerin der Kelten

Die Kriegerin der Kelten

Titel: Die Kriegerin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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zurückrief, konnte er jenen einen, winzigen Moment erspüren, als die Aufgüsse, die man ihm damals zu trinken gegeben hatte, plötzlich nicht mehr ganz so bitter geschmeckt hatten wie zuvor, und als die Geschichten, die Luain mac Calma am Feuer gesungen hatte, mit einem Mal nicht mehr von den goldhaarigen, belgischen jungen Männern und Frauen handelten, die mutig gegen ihre Feinde ritten, um diese in siegreichen Schlachten zu schlagen, sondern von den Sagen über die blinden Träumer der Ahnen abgelöst worden waren. Mac Calma hatte von jenen lange verstorbenen Träumern berichtet, die über Jahre hinweg die größten Mühen auf sich genommen, ja, sogar regelrecht gelitten hatten, um zu erlernen, die andere Welt zu beschreiten, und die damit schließlich zu Helden geworden waren und ihr Volk vor der Vernichtung gerettet hatten.
    Damals, in den Tagen der Ahnen, waren die hellseherisch begabten Nachkommen schon als kleine Kinder aus der Masse der nur durchschnittlich talentierten ausgewählt worden, und man hatte sich bemüht, ihnen noch in jungen Jahren sämtliche Wunder beider Welten, sowohl der diesseitigen als auch der jenseitigen, zu zeigen und zu erläutern - um die Jungen und Mädchen dann mit heißen Eisen zu blenden und diese wunderbaren Erlebnisse für immer in ihrem Inneren einzuschließen. Die erzwungene Einkerkerung ihrer Wahrnehmung in die kleinste aller Welten, nämlich die ganz persönlichen Erinnerungen, sollte die Intuition der Kinder schärfen und sie lehren, zukünftige Ereignisse noch präziser zu erahnen.
    Luain mac Calma, das war Bellos in jenen Tagen nur allzu deutlich bewusst geworden, würde niemals einen seiner Schützlinge wissentlich blenden, egal, wie ausgeprägt dessen hellseherische Fähigkeiten auch sein mochten. Wenn aber ein junger Mensch zu mac Calma kam, der sein Augenlicht bereits durch einen Unfall verloren hatte, und wenn Luain dann glaubte, dass dieser Jugendliche eine Gabe besaß, die alles bisher Erforschte noch weit zu übersteigen schien, dann sah mac Calma, Heiler und Mitglied des Ältestenrats von Mona, es geradezu als seine Pflicht an, die besondere Begabung dieses jungen Menschen zu trainieren und bis zur Perfektion zu verfeinern.
    All das war Bellos allerdings erst ganz langsam und in kleinen Portionen mitgeteilt worden. Der entscheidende Wendepunkt hatte sich dann an einem Tag im Frühling ereignet; mittlerweile war seit der Erblindung des Jungen fast ein ganzes Jahr vergangen. Bellos hatte draußen vor der bescheidenen Hütte gesessen, während zu seinen Füßen der Bach vorüberplätscherte und irgendwo hinter ihm ein Feuer prasselte, als er plötzlich gespürt hatte, wie der hochgewachsene, schmale mac Calma den ersten der Trittsteine betrat, über die man trockenen Fußes den Bach überqueren konnte. Das persönliche Traumzeichen des Vorsitzenden des Ältestenrats von Mona war der Reiher, und es fiel Bellos leichter, sich mac Calma in der Gestalt eines Reihers vorzustellen als in der eines Menschen. In der leeren Finsternis seiner Gedanken hatte Bellos seinem Lehrherrn also zwei spitzknochige Beine und einen langen, scharfen Schnabel gemalt und sich selbst eine Art Schutzmantel umgelegt, um sich vor eventuellen Schnabelhieben des Tieres zu schützen. Mac Calma hatte sich daraufhin umgewandt und war wieder fortgegangen. Ganz leise war er über den weichen Torfboden und vereinzelte, noch vom letzten Winter übrig gebliebene Blätter geschritten. Dann, aus einiger Entfernung, hatte er gefragt: »Wo stehe ich nun?«
    Drei Tage lang hatte mac Calma bei seiner Ankunft stets die gleiche Frage gestellt, und er stand fast immer an der gleichen Stelle.
    »Du stehst an der Stelle, wo der Bach eine kleine Biegung macht«, antwortete Bellos lustlos. Doch das reichte mac Calma noch nicht, denn die Aufgabe, die er dem Jungen für diesen Monat gestellt hatte, lautete, dass Bellos alles, was er nicht mit seinen Augen sehen konnte, in seinem Geiste dafür umso detaillierter ausmalen müsse. Bellos beschrieb den Bach also noch etwas genauer, sprach von den Eichen und Haselnusssträuchern und natürlich auch von der Trauerweide, die das Bachufer mit ihren Zweigen überspannte, beschrieb ihre winzigen, noch zusammengerollten Blättchen und die ersten Ansätze der knospenden Weidenkätzchen.
    Er erklärte, wie seiner Meinung nach die Steine der Brücke aussehen müssten, erläuterte die Textur des nassen und frischen Mooses, beschrieb, wie das Wasser Stein und Moos umwirbelte, und

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