Die Kriegerin der Kelten
es gerade das Licht der Welt erblickt. Ich fühle mich, als ob mir irgendjemand eine Binde um die Augen gelegt hätte, jemand, der sich einen schlechten Scherz mit mir erlaubt. Und ich will, dass er diese Binde endlich wieder abnimmt. Ich will, dass du sie mir wieder abnimmst!«
Dann legte sich abermals die Dunkelheit über Bellos’ Gedanken, und er dachte, mac Calma sei wieder gegangen. Ganz ruhig verharrte der Junge auf dem Felsbrocken, wandte das Gesicht dem Wind zu und hörte doch nichts. Kein einziges Geräusch drang an sein Ohr, sodass er sich schon fragte, ob er nun vielleicht auch noch taub geworden sei. Damit wäre dann wirklich auch noch das letzte bisschen Lebenswille in ihm erstorben. Plötzlich aber legten lange, schlanke Finger sich auf seine Schulter. Bellos zuckte erschrocken zusammen. Frei von jeglichem Hohn ertönte mac Calmas Stimme: »Bellos, es tut mir so leid. Während all der Überlegungen und Planungen, die ich angestellt habe, habe ich doch ganz vergessen, wie es ist, ein junger Mensch zu sein und machtlos und voller Schmerzen...«
Langsam glitten die Finger Bellos’ Arm hinab, und der Junge spürte die festen Hände des Heilers, jenes Mannes, der doch stets so genau zu wissen schien, was zu tun war. Mac Calma öffnete behutsam die rechte Faust des Jungen und legte ihm den Griff von Valerius’ Schwert in die Handfläche. Bellos wehrte sich nicht. Er war vielmehr verwirrt und schloss automatisch die Finger darum, kam sich sogar ein bisschen dumm und unbeholfen vor, weil er doch gar nicht wusste, wie ein Krieger diese Waffe wohl halten würde. Doch selbst in diesem traurigen und beschämenden Moment fühlte er, wie vertraut ihm dieses Schwert bereits war und wie dessen Energie, hell wie der Morgen über Hibernia, ihn durchdrang.
Noch niemals zuvor hatte er diese Waffe in seinen Händen gehalten, und doch wusste er instinktiv, wo ihr Balancepunkt lag, kannte das Gewicht des Schwerts und die Rillen in seinem Heft. Und ganz so, als wären es seine eigenen Ängste, sein eigener Schmerz und sein eigener Zorn, erspürte er die Gefühle, die Valerius bewegt hatten, als er dem Schwert auf seinem Amboss mit ein paar letzten gezielten Hammerschlägen seine endgültige Form verliehen hatte.
Fest schien Valerius’ Zorn sich um den Jungen zu schließen, glich Bellos’ eigenem Schmerz - und ließ damit, endlich, die dem Jungen schon so lange innewohnenden Qualen enden. Bellos aber konnte diesem überwältigenden Erlebnis nicht lange nachhängen, denn schon erschien ein seltsam klares Bild vor seinem inneren Auge. Er sah sich selbst sterben, sah, wie er nach Art der Römer vorwärts auf sein Schwert stürzte, sodass es der Länge nach durch seine Brust schnitt und nass von Blut hinten aus seinem Rücken wieder heraustrat.
Entsetzt ließ Bellos das Schwert fallen, hörte, wie das Eisen sich in den grasbewachsenen Boden bohrte. In seiner Vorstellung sprudelte frisches Blut in breiten Strömen über das grüne Gras, und sosehr er sich auch bemühte, er konnte das Blut doch nicht mehr verschwinden lassen. Bellos hob den Kopf, glaubte zu sehen, wie ein Reiher sich in die Lüfte emporschwang, und wusste dennoch, dass in der realen Welt, jener Welt, in der er eben nicht sehen konnte, sondern noch immer der blinde Junge war, mac Calma sich noch immer nicht von der Stelle gerührt hatte.
Mit einem Mal schien irgendetwas in Bellos’ Bewusstsein aufzubrechen. Er beobachtete, wie der Reiher hoch über dem Bach in großen Kreisen seine Bahnen zog und schließlich der Erde langsam wieder näher kam. Der Junge spürte, wie ein schwaches Lächeln sich über mac Calmas Lippen legte, und er erkannte, wie sein, Bellos’, eigener Geist, Briga, der Göttin der Toten, seinen Gruß entbot. Schließlich betrachtete er sich selbst dabei, wie er die ersten zaghaften Schritte in das Land jenseits des Lebens wagte - bis diese Vision plötzlich in eine nur allzu wundersame Darstellung jener neuen Welt abglitt, eine Vision, die sich so ja doch nie ereignen würde.
Hirngespinste . Bellos weigerte sich hartnäckig, sich seinen Verstand von Hirngespinsten vernebeln zu lassen. Denn auf keinen Fall dürfte sich gleich seine erste Vision als albernes Trugbild herausstellen. Sonst wäre seine erste Vision damit zugleich auch seine letzte. Niemand fragte einen fehlgeleiteten Träumer nach dessen Sicht der Zukunft. Reglos blieb Bellos sitzen, während er in langsamen und tiefen Zügen ein- und ausatmete. Und endlich ließ der
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