Die Kriegerin der Kelten
alles, was sich in seine Wahrnehmung zu schummeln und ihn zu verunsichern versuchte, und konzentrierte sich allein auf den festen Boden unter seinen Füßen. Schließlich stand er sicher und unverrückbar auf der Erde, die er sich selbst geschaffen hatte. Die Nebel, die ihn in seiner Kindheit heimgesucht hatten, hatten eine Art schneidende Qualität gehabt, sie waren nass gewesen und kalt und hatten sein damaliges Leben widergespiegelt. Ein Leben, so ganz anders als das, das er heute führte. Diese Erkenntnis, das Wissen, dass sein heutiges Dasein ein vollkommen anderes war als in den Tagen seiner Kindheit, ließ seine Angst schließlich wieder weichen. Und mit einer weiteren Kraftanstrengung schob Bellos die Erinnerungen an die Vergangenheit einfach beiseite und erinnerte sich stattdessen an die Wärme im Großen Versammlungshaus im Winter, wenn in sämtlichen Feuerstellen helle Feuer brannten, und er dachte auch an die Fürsorge, mit der man sich nun um ihn kümmerte.
So eingelullt in angenehme Assoziationen, wagte Bellos es erneut, seine Wahrnehmung in Richtung jenes dichten, fast schon mit Händen zu greifenden Gewebes auszudehnen, zu dem sich die Albträume tausender Männer verwoben hatten. Und dieses Mal traf Bellos nicht wieder auf eine aus Nebelschwaden geschaffene Mauer.
Stattdessen atmete er tief ein, nahm die Hoffnungen und die Ängste der Legionen in sich auf. Sein Kopf brummte geradezu angesichts der Vielzahl von Mythen und Gerüchten von Männern, die zu lange in einem Land gekämpft hatten, in dem sie von Anfang an nicht willkommen gewesen waren, und die schließlich in ihren Schlachten zugrunde gingen. Er lauschte auf längst verhallte Zwiegespräche, die die erschöpften Männer sich kurz vor dem Einschlafen wieder ins Bewusstsein zurückriefen, Gespräche, in denen sie das Wetter verfluchten, die blutgierigen Insekten verdammten, über das schlechte Essen schimpften, sich über die Sümpfe, den Treibsand und die sich unentwegt aufs Neue wiederholenden Verstümmelungen von getöteten Legionaren beklagten und all dies Göttern zur Last legten, die allein die Stämme der Eingeborenen zu unterstützen schienen und die Römer hassten.
Dennoch waren all diese Ängste noch sehr unspezifisch. Keine von ihnen hätte sich von den Träumern zu einem solchen Monster aufbauen lassen, dass sich damit die Eroberung von Mona hätte verhindern lassen.
Bellos machte sich auf die Suche nach jener ganz besonderen Angst, die allen Legionaren gemeinsam war. Er machte sich auf die Suche nach seinem höchsten Ziel. Als Erstes verschaffte er sich klare Sicht. Klare Sicht auf jede einzelne Kleinigkeit, die sich um ihn herum befand. Stück für Stück ordnete er das Durcheinander an Sorgen und Nöten. Dann verflocht er die dünnen Nebelfäden gleichenden Ängste der Männer zu feinen Strängen, damit er diese noch leichter aus deren Köpfen hervorlocken und herausziehen konnte, ohne jedoch dabei die Legionare zu erschrecken. Die Soldaten, die auf diese Weise ihrer Sorgen beraubt wurden, würden am Morgen noch dickere Brummschädel haben als sonst. Sie würden glauben, sie hätten am Vorabend noch mehr getrunken, als ihnen eigentlich bewusst gewesen war. Vor allem aber zeigte sich Bellos damit die ganze Grausamkeit und die ganze schreckliche Farbenpracht der Albträume der römischen Soldaten, traten klar die Sorgen vor sein geistiges Auge, während er langsam immer mehr Stränge miteinander verflocht und schließlich jene feinen Nuancen der Furcht zu erkennen glaubte, die allen Männern gemeinsam waren.
Bellos arbeitete sich gerade zur Mitte des Feldlagers vor, dorthin, wo die Offizierszelte errichtet worden waren, als er plötzlich einen winzigen Lichtpunkt entdeckte. Nicht größer als ein Stecknadelkopf im dunklen Gewebe der Ängste, zeigte dieses Licht Bellos an, dass er hier auf einen weiseren, sensibleren Geist getroffen war. Er beobachtete das Licht eine Weile lang, betrachtete es jedoch nur indirekt und schaute es niemals unmittelbar an, damit der Unbekannte seinen Beobachter nicht letzten Endes gar noch wahrnähme. Von diesem einen Mann sammelte Bellos keinen jener feinen Gedankenfäden ein, die er den anderen geraubt hatte. Stattdessen schritt er vorsichtig an dem Unbekannten vorüber, die langsam bereits wieder zerfallenden Gedankenstränge der übrigen Legionare wie einen Mantel um sich gelegt. Doch selbst unter dem Schutz der wirren Ängste der Legionssoldaten schien jener andere seinen Beobachter intuitiv
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