Die Kriegerin der Kelten
symbolisierten. Das Ablegen der Federn war ein Akt der Loslösung von seiner früheren Existenz gewesen, ein Akt, mit dem er alles, was vorher geschehen war, hinter sich gelassen hatte, und durch den er sich noch stärker von seinesgleichen abhob, als es seine königliche Abstammung oder sein fehlendes Ohr jemals vermocht hätten. Von Kopf bis Fuß mit Waid getarnt und untrennbar mit dem Nebel verschmolzen, war er nunmehr ein Krieger, den nichts mehr mit den Lebenden verband, ein Krieger, der nichts mehr auszufechten hatte als die Schlacht selbst, den nichts mehr ins Wanken zu bringen vermochte außer der Atem der Götter, den nichts mehr berührte oder kümmerte außer der Aufgabe, sich auf den nächsten Atemzug zu konzentrieren und den nächsten und den nächsten …
Die Ältesten der Kaledonier hatten ihn die Disziplin gelehrt, die es Cunomar ermöglichte, sämtliche Gedanken zum Verstummen zu bringen und seinen Geist in einem Zustand vollkommener Leere und Ruhe zu halten, auf dass er eins mit dem Erdboden wurde. Seit dem Morgengrauen hatte er nun schon in diesem Zustand der Reglosigkeit verharrt, wobei seine Konzentration nur hin und wieder ein wenig nachgelassen hatte. Doch dann war der Ruf der Eule ertönt, und dieser hatte unwillkürlich die Erinnerung an den Traum der letzten Nacht mit sich gebracht, eine Erinnerung, die Cunomar einfach nicht abzuschütteln vermochte.
Während er sich angestrengt darum bemühte, wieder Leere in sein Bewusstsein einkehren zu lassen, roch Cunomar im Geiste erneut den stinkenden Atem des Bären und fühlte sich prompt wieder in den Albtraum zurückversetzt, der ihn in den vergangenen drei Nächten regelmäßig aus dem Schlaf hatte hochschrecken lassen. Es war jedoch nicht die Göttin in Gestalt der Bärin, der er in seinem Traum begegnet war, jenes mystische göttliche Geschöpf, dem er seine Seele verschrieben hatte. Sondern ein übel riechender und verletzter männlicher Bär. Das Tier war in eine Höhle gejagt worden, aus der es kein Entkommen mehr gab, und in seinem Schmerz und seiner blinden Rage hatte sich der hilflos in die Enge getriebene Bär umgedreht und seine nadelspitzen Klauen ausgefahren, um nach seinem Angreifer auszuholen. Klauen, die sich länger und immer länger streckten und die an dem Krieger, der gekommen war, um den Bären zu töten, vorbeilangten, um stattdessen das verletzte Kind, die Schwester des Kriegers, zu treffen, die zu ihrem Schutz in ebendiese Höhle geschickt worden war und in genau diesem Augenblick gerade erst aus dem Schlaf erwachte, sich von ihrem Lager erhob und die Arme nach ihrem Bruder ausstreckte, ohne zu begreifen, in welcher Gefahr sie sich befand. In Cunomars Traum fuhr der Bär rasend vor Zorn herum, richtete sich auf die Hinterbeine auf und schlug mit seiner gewaltigen Pranke wieder und wieder auf...
Graine! Nein! Cunomar sprach die Worte allerdings nicht laut aus. So viel zumindest konnte seine Disziplin gerade noch verhindern.
Hartnäckig machte er sich daran, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mit Fett vermischte Schweißtropfen rannen von seinen Achselhöhlen und seinem Gesäß herab. Schließlich war er wieder in der Lage, die Geräusche um sich herum wahrzunehmen und das eiserne Geklirr der Legionssoldaten und die neueste Strophe ihres Marschliedes zu hören.
Er konzentrierte sich darauf, so wie man es ihm beigebracht hatte, allen gedanklichen Ballast abzuwerfen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, und zwang sich, nicht länger der Erinnerung an den Ausdruck auf Graines Gesicht nachzuhängen, als der Bär seine mächtige Pranke herabsausen ließ, um sie zu zerschmettern. Er grübelte auch nicht darüber nach, wieso es ihm, Cunomar, nicht gelungen war, seine Schwester zu retten. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Traum gehabt hatte, und Cunomar glaubte auch nicht, dass es das letzte Mal gewesen wäre. Er wusste nur, dass er sein Leben dafür geben würde, um seine Schwester zu beschützen, und dass, solange er lebte, kein Bär - sei es nun im Traum oder in der Realität - sie jemals zu fassen bekommen würde.
Die vollkommene innere Ruhe vermochte er jedoch trotz aller Bemühungen nicht wiederzufinden, und daher gab er den Versuch schließlich endgültig auf und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Derart von ihren Fesseln befreit, kreisten diese als Erstes um Ardacos, Cunomars Mentor, der ihm gezeigt hatte, was es bedeutete, ein Geisterkrieger zu sein, und der ihm somit ein Vorbild geliefert
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