Die Kriegerin der Kelten
hatte, dem es nachzueifern galt - wenngleich dem Kind, das Cunomar zu jener Zeit noch gewesen war, dieses Vorbild schier unerreichbar erschienen war.
Ardacos hatte seine Kriegerfedern schon seit langem abgelegt. Inzwischen schmückte der kleine, drahtige Kaledonier sich nur noch mit Andenken an diejenigen Siege, die er eigenhändig und ohne fremde Hilfe im Kampf gegen einen wahrhaft würdigen Gegner errungen hatte. Zum Zeichen für einen solchen Sieg trug er einen ockerroten Streifen um den Oberarm. Zurzeit zierten drei dieser Streifen seinen Arm, und er konnte nicht nur alle drei Feinde beim Namen nennen, sondern auch die genaue Art und Weise beschreiben, wie sie zu Tode gekommen waren, sowie jede einzelne Großtat ihres Lebens aufzählen, ganz so, als ob sie Helden wären. Nicht einer dieser Gegner war Römer gewesen, obgleich Ardacos ebenso viele Legionare bezwungen hatte wie jeder andere lebende Krieger.
Im Gegensatz zu Ardacos wusste Cunomar jedoch nicht so recht, wen er als einen würdigen Gegner betrachten sollte, nun, da die Welt sich so sehr verändert hatte. Seine gesamte Jugend hindurch hatte er davon geträumt, einen gewissen Dekurio der Thrakischen Kavallerie zu töten, jenen Mann, der dieses besonders auffällig gescheckte Pferd ritt und der von der Ostküste bis in den Westen nur als »die Geißel der Stämme« bekannt war.
Aus einer ganzen Reihe von Gründen wäre der Tod dieses Mannes Cunomars Empfinden nach also durchaus einen ockerfarbenen Streifen wert gewesen. Doch dann war Valerius mit seinem Schecken in die Eceni-Siedlung geritten und hatte den römischen Prokurator in einem Akt von beeindruckender Brutalität ins Jenseits befördert, womit seine Rückkehr zu den Eceni besiegelt gewesen war. Erst danach hatte er sich als der Bruder der Bodicea zu erkennen gegeben, und da war es bereits zu spät gewesen, ihn zu töten.
Also hatte Cunomar den Traum, den er seit zehn Jahren hegte, schließlich widerwillig aufgegeben oder ihn zumindest erst einmal auf Eis gelegt. Zwar hatte er sich im Kreis der Ratsversammlung nicht laut darüber geäußert, doch für ihn lag es klar auf der Hand, dass ein Mann, der bereits zweimal in seinem Leben die Seiten gewechselt hatte, nur zu leicht in Versuchung kommen könnte, dies auch noch ein drittes Mal zu tun. Allein aus diesem Grund war Valerius in Cunomars Augen nicht dafür geeignet, das Kriegsheer zu führen, falls sich herausstellen sollte, dass die Bodicea nicht mehr dazu fähig war. Cygfa allerdings dachte zweifellos anders darüber, und sie stand mit ihrer Meinung nicht allein da.
Nur wenige hatten es bisher gewagt, offen darüber zu sprechen, doch man konnte sie deutlich in ihren Augen lesen: die Furcht davor, dass die Bodicea ihr Feuer und ihren Kampfgeist unwiederbringlich verloren hätte und bald durch einen neuen Anführer ersetzt werden müsste. Viele weigerten sich zwar schlicht und einfach zu glauben, dass es jemals so weit kommen könnte, doch genau wie Cygfa, so hatte auch Cunomar damals mit eigenen Augen mit angesehen, wie sein Vater durch Rom körperlich und seelisch zugrunde gerichtet und schließlich seines letzten Lebensmutes beraubt worden war. Daher kannte Cunomar die Anzeichen nur allzu gut.
Er hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis auch die anderen zu dieser Einsicht kämen und lernten, die Sachlage so zu sehen, wie er sie sah. Er wusste nur, dass es nicht genügte, der einzige Sohn der Bodicea zu sein, sondern dass er vielmehr beweisen musste - sich selbst, seiner Schwester, all jenen anderen, die vielleicht noch an ihm zweifelten, vor allem aber der Bärin und den zuschauenden Göttern -, dass er der Richtige war, oder, genauer gesagt, der Einzige, an den sie sich in Zeiten der Not wenden konnten. Wenn Valerius sich dann gegen ihn stellte, könnte er, Cunomar, endlich kämpfen, und er könnte ihn töten, und dann würde die Welt endlich erfahren, welch großartiger Krieger der Sohn der Bodicea war.
Es kostete ihn eine ganze Menge Selbstbeherrschung, bei diesem Gedanken nicht unwillkürlich aufzuspringen. Doch Cunomar zwang sich, weiterhin reglos liegen zu bleiben, und wurde denn auch prompt für seine Disziplin belohnt. Ein kleines Stück rechts vor ihm, in dem feuchten Mulch des Waldbodens, wo winzig kleine Geschöpfe krabbelten und ein einzelnes Blatt so groß wie ein ganzes Rundhaus erschien, pirschte sich gerade eine Spitzmaus an einen dünnen, fadenartigen Regenwurm an. Cunomar atmete langsam und kontrolliert aus,
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