Die Kriegerin der Kelten
auf seine eigenen Fähigkeiten und die seiner Mitstreiter ins Feld zog. Dann beobachtete sie wieder die wankende Linie unerprobter, ungeübter Krieger, die vor ihr auf dem Pfad kämpften, und überlegte, was es brauchen würde, um auch sie so weit zu bringen und zu ebensolch unübertroffenen Kämpfern zu machen. Sie fühlte das Gewicht ihres Schwertes in ihrer Handfläche und die seltsame Benommenheit und Starre, die seit dem Beginn der heutigen Kämpfe in ihrem Herzen herrschte, und sie sehnte sich geradezu danach, um den Verlust jenes intensiven, aufstachelnden Schmerzes weinen zu können, der sie einst in die Schlacht getrieben hatte und tief im Inneren von Unsterblichkeit und am Feuer erzählten Geschichten sang.
XI
Weit entfernt von jeglichen Kampfhandlungen vibrierte das Nachtlager der Neunten Legion unter dem stetigen Marschrhythmus schier unzähliger Füße. Eine Reihe nach der anderen, Kolonne für Kolonne, stapften die Hundertschaften durch die schmale Lücke in der Grabenanlage, die, streng nach Valerius’ Anweisungen ausgehoben, das Nachtlager umriss. Erschöpft ließen die Männer ihre Tornister vor ihren Zelten sinken - diese standen in jedem der Feldlager, das die Soldaten jemals errichtet hatten, immer an der gleichen Stelle. Anschließend machten die frisch eingetroffenen Legionare sich daran, beim Ausheben weiterer Schützengräben behilflich zu sein, schichteten um das Lager herum schützende Erdwälle auf, die jeweils mit einem Gitterwerk von miteinander verschränkten, scharf zugespitzten Holzpfählen versehen wurden, zerrten einige letzte Zeltschnüre straff und widmeten sich schließlich dem Schüren der Feuer und der Zubereitung der abendlichen Mahlzeit.
Man zog Lose, um die Reihenfolge der Wachablösungen zu bestimmen, und fingerte einige Streifen getrockneten Hammelfleisches, Feigen und ein paar Haselnüsse aus dem Gepäck, um damit der bescheidenen Abendmahlzeit ein wenig mehr Würze zu verleihen. Eine Atmosphäre des Friedens hatte sich über das Lager gelegt, als plötzlich das hohe, in den Ohren schrillende Schmettern eines Signalhorns ertönte und den Alarm auslöste. Drei Töne, in rascher Abfolge hintereinander ausgestoßen, das Ganze in dreifacher Wiederholung mit einer kleinen Pause zwischen der zweiten und der dritten Abfolge sowie einer Art Wirbel am Ende.
»Gütige Götter, sie haben die gesamte dritte Kohorte von unserem Zug abgetrennt und auch noch zwei Zenturien von der zweiten! Deine Schwester ist wirklich fleißig gewesen.« Longinus wusste genau, dass die nächsten Augenblicke nicht nur über sein Leben entschieden, sondern auch über das komplette weitere Geschehen der Kampfhandlungen. Er sprach also nur leise und in thrakischer Sprache, während tiefe Falten sich in seine Stirn gruben.
Auf Lateinisch, laut genug, damit auch alle anderen es hören konnten, erwiderte Valerius: »Das hintere Ende unseres Legionszugs wird angegriffen. Mach Civilis ausfindig. Und richte dich darauf ein, sofort wieder loszureiten.«
Noch während er die letzten Worte sagte, hatte er sich auch schon umgewandt. Der Pavillon des Legaten lag dort, wo die Hauptwege und die kleinen Seitenpfade des Feldlagers sich kreuzten. Schlaff hingen die Lanzenfähnchen der Legion und Cerialis’ persönliches Emblem, der blaugrüne Delfin auf weißem Grund, im abendlichen Nebel. Lucius, jener junge Kurier, dem erst vor kurzem das Zeichen des Mithras in die Haut eingebrannt worden war, hielt draußen vor dem Pavillon Wache. Als er das Signal hörte, hob er abrupt den Kopf und erinnerte damit ein wenig an einen aufgeschreckten Hund, der verwirrt eine Witterung aufzunehmen versuchte.
»Cerialis?«, rief Valerius an Lucius gewandt. »Wo ist er?« Der Junge wies mit einer ruckartigen Kinnbewegung auf den Pavillon. Valerius wartete nicht lange, sondern trat sofort in das Zelt ein.
Sorgfältig gegerbte Ziegenhäute, besprengt mit Rosmarinöl und Rosenwasser, bildeten das Dach und die Wände des Pavillons des Legaten. Ein Kohlebecken spendete wohlige Wärme, und dicht vor einer der Zeltwände stand der Arbeitstisch des Legionsschreibers.
Valerius trat genau in dem Augenblick ein, als der Legat sich gerade aus seinem Badezuber erhob. Der Mann dampfte regelrecht, und um den Unterkörper hatte er ein leinenes Tuch geschlungen. Seine Rüstung war dick mit Öl eingeschmiert und hing frisch poliert von der Mittelstange des Zeltes herab.
»Eure Exzellenz?« Valerius ließ die lederne Zeltklappe wieder hinter sich
Weitere Kostenlose Bücher