Die Kriegerin der Kelten
er.
»Ich danke dir. Damit erweist du mir einen großen Dienst. Also, pass gut auf und tu, was du tun musst.«
In diesem Moment kehrte der Zaunkönig, der zuvor schon einmal seine Aufmerksamkeit erregt hatte, wieder zurück, und diesmal war es Bellos unmöglich, es dem Vogel nicht nachzutun. Diesmal musste er sich einfach emporschwingen, um das berauschende Gefühl des Fliegens und der Freiheit auszukosten, um Rückgrat und Glieder zu strecken, die köstliche Frische des Tages zu genießen und zu erleben, wie all seine Sinne sich schärften, und um schließlich, von ganz hoch oben, auf ein kleines Mädchen mit ochsenblutrotem Haar hinabzuschauen, das aufrecht und mit überkreuzten Beinen vor einem Feuer und einer Waffe saß, während hinter ihr in der Dunkelheit ein muskulös gebauter junger Krieger lag.
Beim Anblick des Kindes hielt Bellos abrupt inne und hörte auf, ein Zaunkönig zu sein. Lange Zeit wusste er nicht, welche Gestalt er daraufhin annahm, er wusste bloß, dass es ihm möglich war, bei dem Geschehen dort unten in der Tiefe zuzuschauen und zuzuhören und Dinge zu erfahren. Am Ende hatte er eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, was von ihm verlangt wurde, wenn auch noch nicht davon, was ihn die Sache kosten könnte. Ob er der ihm gestellten Aufgabe überhaupt gewachsen war oder wie er sie erfüllen sollte, das war ihm allerdings noch ganz und gar nicht klar.
Er zwang sich, aufzuwachen und reichlich Wasser zu trinken, auf dass ihn notfalls eine volle Blase wieder aufwecken würde, falls er in seinem Traum zu weit reiste. Und als er wieder gemütlich unter den warmen Schaffellen lag, überließ Bellos sich dem Schlaf und konzentrierte sich auf die Erinnerung an Valerius und alles, was er über diesen wusste.
Das Schwert ihres Großvaters lag auf der anderen Seite der Feuergrube und wartete.
Graine spürte das Drängen, spürte es so deutlich wie ein drohend heraufziehendes Gewitter oder die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Krieges und konnte doch nichts dagegen tun. Die Stille, die sie umfing, war keineswegs feindlich, doch hinter ihren Augen pochte ein anhaltender Schmerz, der so ganz anders war als die Schmerzen, die sie nachts am Einschlafen hinderten, und in ihren Ohren war ein Murmeln, das nicht das Stimmengewirr des Kriegsheeres ihrer Mutter draußen auf der Lichtung war. Und ihr Herz war von dem Wissen erfüllt, dass ihr Großvater da war und das dringende Bedürfnis verspürte, zu ihr zu sprechen, und dass sie eigentlich in der Lage sein sollte, ihn zu hören, und es doch nicht konnte.
Seufzend presste Graine die Hände vor die Augen und verfluchte das leere Dunkel. Früher einmal hatte sie die Dunkelheit gemocht, denn oft waren in den Phasen des Beinahe-Träumens gegen Anfang oder Ende des Schlafs die Großmütter zu ihr gekommen und hatten ihr die Wege der Götter und der längst verstorbenen Ahnen gezeigt. Zu jener Zeit hatten die Pfade zwischen Leben und Tod sich einem achtjährigen Mädchen auf eine Art und Weise erschlossen, wie es die Außenwelt nicht tat, und wenn auch nichts jemals gewiss gewesen war, so hatte die Anwesenheit der Großmutter ihr doch stets ein tröstliches Gefühl der Sicherheit und Verlässlichkeit vermittelt, das selbst die schlimmsten Ausschreitungen des Krieges gewissermaßen noch in Schach zu halten schien.
Dann waren die Schergen Roms gekommen, um ihre Forderungen einzutreiben und sämtliche Gräuel des Krieges mit sich zu bringen, und da war es mit jeglicher Sicherheit aus und vorbei gewesen. Trotz allem war Graine mit dem Leben davongekommen, was ein Wunder war, und sie war dankbar dafür. War es von jenem Moment an gewesen, in dem sie auf den gefalteten Schaffellen im Bett neben ihrer Mutter aufgewacht war und die Römer fort gewesen waren und das Kriegsheer im Begriff, sich zu versammeln, und die Welt wieder heil.
Außer, dass die Welt eben keineswegs wieder heil war und es auch niemals sein konnte. Denn in jenem bewussten Moment, in dem Graine damals wieder zu sich gekommen war, war ihr zugleich auch die Erkenntnis gedämmert, dass die Großmütter sie verlassen hatten und dass damit auch die Fähigkeit des Träumens unwiederbringlich für sie verloren war. Kein Geist, so schien es, wollte sich dazu herablassen, einem achtjährigen Mädchen zu erscheinen, das von einer halben Zenturie von Soldaten geschändet worden war, und solange die Geister der Verstorbenen fernblieben, blieb auch die Welt zerstört, und es gab nichts, was die
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