Die Kriegerin der Kelten
Graine, Tochter von Caradoc. Vergiss niemals, wer dein Vater war. Als ich noch ein Kind war, bin ich ihm einmal begegnet. Er wäre stolz auf dich gewesen, genauso, wie du es auch auf ihn sein solltest. Jedes Kind wäre stolz darauf, diese beiden Menschen als Eltern zu haben, aber du warst noch mehr als das, und du könntest es wieder sein, könntest die Fähigkeit des Sehens wieder zurückerlangen. Möchtest du wieder geheilt werden?«
»Natürlich«, fauchte Graine ohne nachzudenken und sah, wie die Katzenaugen ihres Gegenübers sich weiteten.
Mit ruhiger Stimme erwiderte Bellos: »Sieh dich vor. Es ist nicht gut, im Traum leere Worte von sich zu geben.«
»Aber dies ist doch gar kein...« Abrupt hielt Graine inne. Valerius war nicht mehr als ein Schatten gewesen und dann ganz plötzlich wieder verschwunden, zurückgekehrt zu seinen Kriegern, um durch die Nacht zu reiten und den Geist Eburovics mit sich zu nehmen. Bellos hatte mit einer einzigen schwungvollen Bewegung seiner Hand ihr Feuer angezündet, und dennoch spendeten die Flammen keinerlei Wärme sondern nur gerade genug Licht, dass Graine ihren Besucher sehen konnte. Hawk schlief tief und fest auf seinem Lager; sie konnte den gleichmäßigen Rhythmus seiner Atemzüge hören. »Aber das kann doch gar nicht sein«, sagte sie verwirrt. »Ich habe doch die Gabe des Träumens verloren.«
Sie spürte, wie Bellos lächelte. »Dies ist ja auch mein Traum, das Geschenk Brigas. Ich bin auf Mona. Wenn du wieder genesen möchtest, dann musst du hierher zu mir nach Mona kommen.«
»Die Legionen sind an der Westküste und bereiten sich darauf vor, Mona anzugreifen und alle, die noch auf der Insel geblieben sind.«
»Ich weiß. Aber noch haben die Kämpfe nicht begonnen. Und ich werde auch weiterhin hier ausharren, bis die Schlacht anfängt und bis sie dann, irgendwann, wieder vorüber ist.«
»Hawk wird mich nicht gehen lassen.«
»Doch, das wird er.« Mit einem Mal sah Graine Hawk hinter Bellos stehen. Seine Augen waren so scharf und klug wie die des Habichts, dem er seinen Namen verdankte.
»Meine Mutter war eine Träumerin des Gehörnten«, erklärte Hawk. »Sie würde niemals zulassen, dass ich einem anderen Menschen im Wege stehe, wenn dieser die Zwiesprache mit den Göttern sucht. Wenn du unbedingt nach Mona gehen musst, werde ich dir helfen, einen Weg dorthin zu finden.«
»Danke.« Abermals legte die Traumerscheinung in Gestalt von Bellos ehrerbietig ihre Hand an die Stirn. »Ihr solltet im Morgengrauen aufbrechen.«
»Das können wir nicht. Wir müssen erst noch Mutter Bescheid sagen.«
Von irgendwo aus weiter Ferne erklang Valerius’ Stimme: »Breaca ist gerade auf dem Rückweg zu dir. Sie wird noch vor Tagesanbruch wieder in der Siedlung sein. Dubornos ist bei ihr, und auch Gunovar. Beide kennen die Wege, die nach Mona führen, und könnten euch dorthin begleiten. Richte ihnen aus, dass ich das gesagt habe, und denk an die Worte deines Großvaters! Hawk sollte das Kampfschwert der Ahnen tragen. Hawk, nicht Dubornos. Das hat Eburovic ausdrücklich gesagt.«
»Aber wie sollen wir denn...«
Plötzlich leerte sich die Luft und füllte sich dann wieder. Graine schlug die Augen auf. Bellos war verschwunden, das Feuer noch immer nicht angezündet. Und die Feder schwebte weiterhin schwerelos von der Decke herab. Hawk schlief vernehmlich schnarchend auf seinen Fellen. Hellwach lag Graine in der Dunkelheit und horchte voller Anspannung auf das Trappeln von Pferdehufen, das von der Rückkehr ihrer Mutter künden würde.
XIV
Träge balancierte Cunomar das Messer, das seine Mutter ihm einst geschenkt hatte, auf der Fingerkuppe seines rechten Zeigefingers und beobachtete, wie die roten Funken, die sich in der Klinge spiegelten, eine zunehmend dunklere Tönung annahmen.
Ein lauer Abendwind wehte aus südwestlicher Richtung heran und hob sanft die glühenden Aschestäubchen in den Himmel empor - in dem römischen Nachtlager waren exakt fünfzig Feuerstellen errichtet worden. Das Rauschen des Windes überlagerte und verzerrte das Gemurmel der Legionare. Die Männer erzählten sich, wie sie den Tag erlebt hatten, und Latein vermischte sich mit den Dialekten der germanischen Stämme. Hin und wieder hörte man das charakteristische Klirren von Schwert auf Schild, wenn zwei Wachen sich während ihrer unaufhörlichen Rundgänge durch das Lager begegneten und einander anriefen. Wie ein massiger Schatten ragte der Pavillon des Legaten inmitten der funkensprühenden
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