Die Kristallhexe
Kampf nicht endete. Das Brüllen und Schreien der Männer, das Klirren der Klingen und das dumpfe Poltern, mit dem die Toten aus dem Weg geschafft wurden, stachen in Felix’ Ohren. Er war so sehr damit beschäftigt, den Krampf zu lösen und nicht den Anschluss zu verlieren, dass er den Soldaten erst bemerkte, als er fast schon vor ihm stand.
Es war ein kleiner, wieselartiger Mann in einer schmutzigen Nordstaatenuniform aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Das Holster an seinem Gürtel, in dem früher einmal eine Pistole gesteckt haben musste, war leer. Er hielt auch kein Schwert oder Messer in der Hand, sondern ein Schlachterbeil. Felix wurde übel, als er die schartige, alte Klinge sah.
»Hilfe!«, schrie er, doch Marcus und Yevgenji kämpften ungerührt weiter. Sie konnten ihn nicht hören.
Der Krampf in seinem Bein ließ schlagartig nach. Felix kämpfte sich hoch und wich zurück. Jede Stufe musste er sich ertasten. Der Soldat sagte kein Wort, folgte ihm nur weiter. Als Felix erneut stolperte und beinahe gefallen wäre, grinste er und zeigte braune Zahnstummel.
Felix ekelte sich vor ihm mehr, als er ihn fürchtete.
»Hilfe!«, schrie er erneut in der Hoffnung, dass der Treppenschacht seine Stimme nach oben tragen würde wie Rauch in einem Kamin. »Hilfe!«
Der Soldat war nur noch zwei Stufen von ihm entfernt. Er ließ sich Zeit, genoss vielleicht den Ekel und das Entsetzen im Gesicht seines Opfers. Und genau das war Felix, ein Opfer, kein Gegner. Selbst mit einer Klinge in der Hand hätte er dem Soldaten nicht viel entgegenzusetzen gehabt, doch unbewaffnet war er nicht mehr als ein Huhn, das vor dem Bauer floh, der ihm den Kopf abschlagen wollte.
Hilflos, wehrlos, nutzlos, dachte Felix. Die Geschichte meines Lebens.
Erst seit Angelas Entführung verstand er, wie sehr er von ihr abhängig war. Sie hatte alle Entscheidungen getroffen, sie hatte ihm Halt gegeben und ein Ziel. Ohne sie war er nichts.
Er tastete sich eine Stufe hinauf, der Soldat nahm direkt zwei. Mit dem Mut der Verzweiflung trat Felix nach ihm, doch sein Gegner stieß blitzschnell mit dem Schlachterbeil zu. Nur Glück war es zu verdanken, dass sich die Klinge nicht in Felix’ Fuß grub.
Der Soldat sagte etwas, das er nicht verstand, dann machte er plötzlich einen Satz nach vorn. Felix ließ sich fallen, schlug hart auf die Steinstufen und spürte, wie das Schlachterbeil über seinen Kopf pfiff. Wild trat er nach den Beinen des Soldaten, doch der wich mühelos aus und stand im nächsten Moment mit erhobenem Beil über ihm - wie ein Henker.
Felix schrie und hob in einem hilflosen Versuch, sich zu schützen, die Hände vor das Gesicht.
Plötzlich ragte ein Schwertgriff aus der Brust des Mannes. Seine Augen weiteten sich, sein Mund öffnete und schloss sich, ohne dass ein Laut hervorkam. Und dann fiel der Mann nach hinten, rutschte ein paar Stufen hinunter und blieb liegen. In den Sohlen seiner Stiefel waren große Löcher. Felix glaubte nicht, dass er das je vergessen würde.
Er sah nach oben. Naburo ging auf ihn zu, das andere Schwert noch in der Hand. Blut tropfte von der Klinge. Felix wollte sich bei ihm bedanken, doch der General beachtete ihn nicht. Ruhig zog er das Schwert aus der Leiche, dann drehte er sich um.
»Beeil dich!«, sagte er. Trotz des Lärms konnte Felix ihn gut verstehen. Er nickte und stolperte mit weichen Knien die Treppe hinauf. Am nächsten Absatz warteten Laura und Spyridon.
»Bleibt dicht bei mir«, rief der Elf. »Wir durchsuchen die Zimmer.«
Er wartete nicht ab, was Laura und Felix zu sagen hatten, sondern trat die Tür gegenüber der Treppe ein. Mit gezücktem Schwert blieb er stehen, doch niemand griff ihn an. Felix sah, dass es sich bei dem Raum um eine Art Esszimmer zu handeln schien. Ein langer Tisch mit einigen Stühlen stand dort, darauf zwei Tassen und zwei Teller mit Speiseresten.
Zwei, dachte Felix. Er folgte Spyridon in das Zimmer, ohne nachzudenken. »Angela!«, rief er. »Bist du hier?«
Der Elf war bereits in den Raum zu seiner Rechten vorgestoßen, also wandte sich Felix nach links. Laura versuchte, ihn zurückzuhalten, aber er schüttelte ihren Griff ab und stieß die Tür auf. Im Rahmen blieb er stehen.
Vor ihm stand ein großes, mit Fellen bedecktes Bett. Es war zerwühlt, die Kissen lagen auf dem Boden. Daneben bemerkte er einen dunklen Morgenmantel aus Seide, Angelas Lieblingsstoff. Felix biss sich auf die Lippe, als ihm klar wurde, was sich in diesem Zimmer abgespielt hatte.
Laura
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