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Die Kristallhexe

Titel: Die Kristallhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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lächelte. »Die Landschaft sieht zwar friedlich aus, aber sie ist es nicht. Du solltest stets in meiner Nähe bleiben, wenn wir hier draußen sind.«
    Sie drückte seine Hand. »Ich habe nicht vor, deine Nähe zu verlassen.«
    Das bezog sie nicht nur auf die Landschaft, aber sie war sich sicher, dass er das verstand. Sie gingen gemeinsam weiter, Hand in Hand. Alberich führte sie auf den Turm zu, wie sie vermutet hatte. Das Gebäude war hoch und bestand aus grauem Stein. Die Fenster darin waren schmal und begannen erst einige Meter über dem Boden. Je näher sie kamen, desto größer und düsterer wirkte der Turm. Schatten schwirrten wie Fledermäuse um seine Mauern, über den Zinnen hing dichter Nebel.
    »Man nennt ihn den Totenturm«, sagte Alberich, als habe er Angelas Frage erraten. »Er wurde vor langer Zeit erbaut, um dem Herrscher von Innistìr Schutz zu gewähren, sollte der Palast fallen. In seinem Inneren befindet sich eine große Bibliothek. Priesterkönig Johannes hat die Bücher darin gesammelt. Er nutzte den Turm zum Studium der alten Schriften.«
    »Du hoffst, dort etwas über den Dolch zu finden?«
    »Wenn nicht da, wo sonst?«
    Sie hatten den Turm fast erreicht. Eine massiv aussehende, eisenbeschlagene Holztür führte ins Innere. Angela sah keine Soldaten, keine Wachen, nur die flimmernden Schatten.
    Alberich ließ ihre Hand los. »Bleib hier!«, sagte er.
    Angela gehorchte. Er ging allein auf die Tür zu. Sein Blick zuckte von einem Schatten zum nächsten, beobachtete jede Bewegung. Er wirkte auf einmal nervös.
    Die Schatten schwirrten von allen Seiten heran. Angela rieb sich die Arme, als es auf einmal kalt wurde. Es war kein Wind aufgekommen, aber die Luft kühlte trotzdem ab, so als stünde sie vor einer offenen Gefriertruhe.
    Alberich legte eine Hand auf das große, eiserne Schloss der Tür. Eine Klinke gab es nicht. »Ich bin der Herrscher von Innistìr!«, rief er. »Ihr habt mir zu öffnen und mich zu beschützen, so wie den König vor mir.«
    Der Tanz der Schatten wurde wilder und aggressiver. Sie konzentrierten sich nun ganz auf Alberich, umschwärmten ihn und schossen über seinen Kopf hinweg, als wollten sie ihn einschüchtern.
    »Habt ihr nicht gehört?«, fragte Alberich scharf. »Was soll dieser Ungehorsam? Erklärt euch!«
    Einer der Schatten schwebte von oben auf ihn zu. Die anderen machten ihm Platz, bis er schließlich vor Alberich verharrte. Angela biss sich nervös auf die Unterlippe, als sich eine Gestalt aus der Schwärze zu schälen begann. Sie sah ein faltiges, dunkles Männergesicht unter einem Lederhelm mit einer Rüstung, die an die eines römischen Legionärs erinnerte. Der Mann hatte die Daumen in den Gürtel gehakt, ein Kurzschwert hing an seiner Hüfte.
    »Ich höre«, sagte er mit tiefer Stimme, »aber ich gehorche nicht. Wer bist du, dass du dich Herrscher nennst?«
    Alberich verschränkte die Arme vor der Brust. »Alberich, Eroberer von Innistìr, Herr über den Palast der Morgenröte und alles, was mein Auge erblickt.«
    Er machte eine Pause. »Inklusive deiner.«
    Der dunkelhäutige Soldat legte den Kopf in den Nacken. Angela zuckte zusammen, als sie die klaffende Wunde in seinem Hals bemerkte. Sie war unverheilt und sah aus, als habe ihm jemand die Kehle durchgeschnitten.
    »Spricht er die Wahrheit?«, rief der Mann in den Himmel hinein. Einen Moment herrschte Stille, dann säuselte und flüsterte etwas im Nebel über den Zinnen. Der Mann lauschte. Seine schwarzen, pupillenlosen Augen ließen nicht erkennen, was in ihm vorging, aber irgendwann nickte er, ging auf ein Knie und senkte den Kopf.
    »Marcus Julius Secundus, Herr«, sagte er. »Der Turm gehört dir.«
    Alberich trat einen Schritt zurück und musterte ihn. »Du wirst mich mit deinen Männern beschützen, so, wie ihr es dem ersten König geschworen habt?«
    »Mit all unserer Kraft, Herr.«
    »Dann gib den Weg frei, Marcus Julius Secundus. Und wenn du jemals wieder so mit mir redest, werde ich dich von deinem Schwur entbinden. Dann wirst du bis ans Ende der Ewigkeit als Geist durch die Welt treiben, ruhelos, unberührbar und ohne Ehre.«
    »Ja, Herr.« Der tote Römer richtete sich auf. Seine Gestalt zerfloss, wurde wieder zu einem der Schatten, die um den Turm kreisten. Es störte Angela, wie Alberich mit dem Mann umgegangen war. Es kam ihr so vor, als habe er nur seine Pflicht getan.
    Alberich drehte sich um und nickte ihr zu. »Komm!«
    Die Tür schwang lautlos vor ihnen auf. Dahinter lag ein leerer

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