Die Kristallhexe
seiner Hütte und dachte an Angela. Den ganzen Tag lang hatte er gearbeitet; sein Körper verlangte nach Nahrung, aber er brachte es nicht über sich, aufzustehen und sich zu den anderen an das große Lagerfeuer zu setzen, um das sie sich jeden Abend versammelten. Dort würde man ihn nur wieder fragen, wie es ihm ginge und ob er etwas brauchte. Das konnte er nicht mehr ertragen.
Er brauchte Angela, die Frau, die ihm ein Ziel und seinem ehrgeizlosen Leben einen Sinn gegeben hatte, aber das wollte niemand hören. Sie wollten, dass er Tapferkeit zeigte und Optimismus, damit sie sich wieder ihrem eigenen Leben zuwenden konnten, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Er spielte das Spiel seit Wochen, aber es fiel ihm mit jedem Tag schwerer.
Felix sah auf, als die Tür sich öffnete und Sandra eintrat. »Wir haben die Armen gespeist«, sagte sie mit dem gleichen dümmlichen Lächeln, mit dem sie sich am Morgen verabschiedet hatte. »Du hättest sie sehen sollen. Sie waren so glücklich.«
Die Armen gespeist, dachte er. Wer sagte denn so etwas? Vor allem gab es hier im Vulkan keine Armen. Jeder wurde versorgt.
Sandra ging zu der Waschschüssel, die auf der kleinen Kommode stand, um sich die Hände zu waschen. »Hast du heute geduscht?«, fragte sie, während sie nach einem Handtuch griff. »Norbert hat uns eben noch mal daran erinnert, wie wichtig persönliche Hygiene ist. Ein schmutziger Mensch ist ein Mensch, der sich selbst nicht liebt.«
Felix hatte nicht geduscht, und er liebte sich auch nicht, aber diese Antwort vermied er. Sie hätte nur dazu geführt, dass Sandra erneut versucht hätte, ihn auf die Wange zu küssen, und das wollte er vermeiden.
»Du nennst ihn Norbert?«, fragte er stattdessen.
»Wir alle nennen ihn so.«
»Die anderen sind aber nicht vierzig Jahre jünger als er. Ich möchte, dass du ihn Herr Rimmzahn nennst und aufhörst, ihm hinterherzulaufen wie ein Welpe. Das ist unpassend!«
Sandra legte das Handtuch weg und drehte sich zu ihm um. Einen Moment lang erinnerte sie ihn so sehr an ihre Mutter, dass ihm Tränen in die Augen stiegen, aber er schluckte sie rasch hinunter.
»Tut mir leid, Papa, das kann ich nicht.« Sie lächelte nach wie vor. Die Sandra, die er kannte, wäre ihm ins Gesicht gesprungen, wenn er versucht hätte, ihr vorzuschreiben, mit wem sie sich treffen durfte und mit wem nicht. Die neue Sandra widersprach ihm mit dem salbungsvollen Ton einer Nonne. »Norbert hat mich gerettet, Papa, und um meine Dankbarkeit zu zeigen, helfe ich ihm. Er ist wie ein Vater zu mir.«
»Du hast bereits einen Vater«, entgegnete er schärfer als beabsichtigt.
»Ein spiritueller Vater, kein biologischer.« Sie setzte sich neben ihm auf das Bett und strahlte ihn an. »Sieh doch, wie die Liebe, die ich durch seine Worte erfahren durfte, mich verändert hat. Ich habe keine Angst mehr, denn ich weiß, dass sich alles zum Besten wenden wird.«
Sandra ergriff seine Hand. »Nur eines würde mich noch glücklicher machen: wenn du und Luca mich zu den Versammlungen begleiten würdet. Ihr solltet hören, was Norbert zu sagen hat. Er ist eine solche Inspiration.«
»Er ist ein machtbesessener, alter Sack, der auf meine minderjährige Tochter steht.« Felix sagte das, so hart er konnte, in der Hoffnung, das Lächeln aus Sandras Gesicht verschwinden zu sehen. Er wollte eine Reaktion aus ihr herauslocken, die ihn an den Menschen erinnerte, den er einmal gekannt hatte. Doch in den Augen seiner Tochter blitzte es nicht einmal.
»Norbert hat mich darauf vorbereitet, dass du Gemeinheiten sagen würdest. Es ist nicht deine Schuld. Aus dir sprechen Angst und Hass. Du ziehst alles in den Schmutz, damit du dich nicht der Erkenntnis stellen musst, dass dein Weg der falsche und meiner der richtige ist.«
Sie ließ seine Hand los und stand auf. »Ich bete für dich, Papa. Ich will nicht, dass du einer der Verdammten wirst, wenn der eine, auf den wir hoffen, die Welt läutert. Ich will, dass du dann an meiner Seite stehst und mit mir feierst.«
Sandra beugte sich vor. Im letzten Moment erkannte Felix, dass sie ihn auf die Stirn küssen wollte, und duckte sich weg. Sie lächelte, als habe sie nur eine Runde in einem Spiel verloren, dessen Ausgang längst entschieden war, und wandte sich ab.
»Norbert und ich müssen die Versammlung morgen früh besprechen. Ich werde mit ihm und den anderen essen.«
»Nein, das wirst du nicht.« Felix hatte die Worte noch nicht ganz ausgesprochen, da wusste er bereits, dass er
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