Die Kristallwelt der Robina Crux
quer über den gesamten Kristall zu ziehen.
Sie spürte ihre Besessenheit, ihren Übereifer, ja die Hektik, mit der sie die Arbeit anging. Sie war sich des Unsinnigen einer solchen Einstellung bewußt, einer Einstellung, die dazu führte, daß sie – müde und zerschlagen von der meist mehr als zehnstündigen ungewohnten und nicht ungefährlichen Arbeit – auf die abendliche Rückkehr zur Grotte verzichtete, einfach in das Wrack stieg und dort im Skaphander schlief. In der ersten Woche fuhr sie nur zurück, um die Vorräte zu ergänzen – und einmal benötigte sie eine Ersatzdüse für den Brenner.
Robina tat nichts gegen diese Lebensweise, zumindest nicht in den ersten Wochen; die Leistungen an den einzelnen Tagen stellten sie nicht zufrieden, sie nahm sich immer mehr vor, als sie schaffte. Daß sie viel, viel Zeit hatte, zählte nicht.
In der Tat war die Technologie des Feuergravierens nicht sehr effektiv. Da Robina den Ehrgeiz entwickelte, so gut zu arbeiten, wie sie es vermochte, benötigte sie für einen Buchstaben mehr als eine Minute Arbeitszeit. Für das Umsetzen einer Seite bedeutete das einen Zeitaufwand von dreißig Stunden. Robina befürchtete, daß ihr Leben, die Frist, die ihr noch verblieb, zur Vollendung ihres Lebenswerkes, wie sie es nicht ohne Stolz nannte, nicht mehr ausreichen könnte.
Nach zweihundertundelf Tagen zog Robina den letzten Strich an der letzten Szene der Geschichtsfolge; es war noch einmal eine Darstellung des Raumfluges, und zwar des interstellaren.
Am schwersten waren ihr die Aussagen zu Kriegen gefallen. Wie sollte sie den Anderen begreiflich machen, daß die Menschen dieses Stadi um ihrer Entwicklung endgültig überwunden hatten? War es möglich, daß die Fremden aus ihrer Darstellung falsche Schlüsse zögen? Etwa zu der Meinung kommen könnten, auf der Erde herrschten noch immer Zank und Hader oder die Menschen könnten in ihre Urgewohnheiten zurückfallen bei einer Landung ihnen fremder Wesen?
Andererseits wollte Robina diese Entwicklungsphase nicht überspringen in ihrer Darstellung. Wie konnte sie ausdrücken, daß trotz aller nationalen Unterschiede, trotz noch vorhandener Differenzen im Lebensstandard zwischen den Staaten und trotz der damit auftretenden Disharmonien längst eine Entwicklung begonnen hatte, an deren Ende Harmonie zwischen den Menschen herrschen und jeder das haben würde, was er brauchte. Aber wie das auf einem kalten glatten Stein ausdrücken? Schließlich half sich Robina damit, daß sie nach der Darstellung des letzten großen Krieges eine Leerseite folgen ließ und dann zwei gegeneinander gerichtete Panzer zeichnete, die sie kräftig durchkreuzte. Nach einer weiteren Leerseite zeichnete sie viele Menschen, die sich umarmen…
Nachdem Robina das Geschichtsrelief vollendet hatte, seilte sie sich ab und lief etliche Meter in die Ebene hinaus.
Als sie zur Wand hinüberblickte, schoben sich Bilder aus Filmen und Büchern – alte Säulen und Wände der Ägypter und der Inkas in ihre Erinnerung.
Der gesamte obere Teil der glatten Kristallfläche gab einen ähnlichen Eindruck wieder – so empfand jedenfalls Robina. Einzelheiten konnte sie von ihrem Standort aus nicht mehr erkennen, aber ein Beobachter, der aus der Ebene käme, würde ihr Wirken auf dem Kristall keinesfalls übersehen. Die Einteilung nach Seiten und größere Einzeldarstellungen gaben der Wand einen eigentümlichen Schmuck, eine Ornamentik, die durch die darüber hinhuschenden Lichter und die durch die Zeichen gestörte Reflexion dem Kristall etwas Einmaliges verlieh.
Nun würde auch nie wieder durch Spiegelwirkung der Wand ein Unfall geschehen, obwohl es natürlich mehr als unwahrscheinlich war, daß sich ein derartiges Ereignis wiederholen könnte.
Dann versank Robina in den Anblick der Wand. Lange stand sie und starrte, ihre Gedanken glitten ab. Sie sah sich im Institut bei ihrer tägli chen Arbeit, sah Willfart hereinkommen, Willfart, der so wohlwollend lächeln konnte, so als wolle er stets sagen: Na, Mädchen, wo fehlt's denn? Wenn was nicht klappen will, wende dich an Arnulf Willfart, der macht das leicht! – Ja, bei ihm blieb man wohl ewig ein Mädchen. Als der erste Versuch gelang, war es so und auch dann, als sich herausstellte, souveräner Arnulf, daß die kleine Crux ein überschweres Magnetfeld besser beherrschte, wesentlich besser als du! Ich war halt deine Schülerin, du hast mir beigebracht, wie man sein Denken beherrschen muß, wie die Feldschwächen bei
Weitere Kostenlose Bücher