Die Kristallwelt der Robina Crux
ihm sichtlich Mühe.
Robina unterstützte den Bruder, wollte ihm helfen, sich aufzurichten. Nach einer Weile, während Ed der Schweiß ausbrach und sich seine Kaumuskeln wie harte Knoten aus dem Gesicht hoben, gaben sie es auf.
„Es geht nicht, Robi“, sagte er mit einem verzerrten Lächeln. „Holt
doch Hilfe, verdammt noch mal!“ herrschte Robina die Umstehenden
an.
Der Dicke rannte los. „Hilfe“, murmelte er.
Robina durfte zugegen sein, wenn Ed aus der Anästhesie erwachen würde.
Vorher hatte sie der Arzt, ein schnauzbärtiger alter Mann, beiseite genommen und ihr unverblümt unterbreitet, daß Eds Wirbelsäule zunächst keinen Pfifferling mehr wert sei, daß er das dieser Afferei zuzuschreiben habe und überhaupt von Glück reden könne, daß sie ihn wenigstens wieder soweit zusammengeflickt hätten.
Auf Robinas konkrete Frage hin erläuterte er knapp, daß ein Wirbel gesplittert sei und örtliche Verletzungen der Nervenstränge und des Marks verursacht hätte, was vorläufig – und er bezifferte dieses Vorläufig mit mindestens vier Jahren – eine Regenerierung des Wirbels ausschließe. Sie hätten ihm statt dessen ein Kunstwerk eingebaut, einen Plastwirbel, der allerdings einer schonenden Behandlung bedürfe. Er als Arzt würde Ed dringend empfehlen, die nächsten Jahre unter geringerer Schwerkraft zu verbringen, was ja heutzutage leichter zu verwirklichen sei, als einen Affen festzuhalten, wie das Beispiel treffend zeige. Robina hatte gespürt, daß das Bärbeißige des Alten nur gespielt war. Sie hatte ihn angelächelt und er mit einem Auge zurückgeblinzelt. Dann hatte er gelacht, so daß sein überaus antiquierter Schnauzbart an beiden Enden in die Höhe stieg und sich seine Augen zu einem Spalt zusammenschoben. „Wird schon wieder werden, Kleine, das waghalsige Brüderchen“, hatte er väterlich gemurmelt.
Das erste, was der Alte vor Eds Bett sagte, als dieser die Augen geöffnet und sich gerade so in die Umgebung hineingefunden hatte, war: „Na, du Affenfänger, bist du wieder hier, ja?“
Ed gab Robina noch matt, aber sichtlich froh die Hand, dann fragte er: „Wie geht es ihm?“
„Meinst du etwa den Affen?“ fragte der Arzt, und als Ed nickte, fuhr er ihn an: „Hat der Mensch Töne! Selbst arg angeknackst, erkundigt er sich nicht nach seinem Kreuz, sondern nach dem Affen. Dem geht's gut, ich kann dich beruhigen. Er streckt den Besuchern die Zunge heraus und frißt vergnügt Bananen.“
„Na ja“, sagte Ed ein wenig kleinlaut, „wo er doch so kostbar ist. Er
tat mir leid, und er wäre bestimmt abgestürzt.“
„Gefühlsduselei“, brummte der Alte.
Als Ed und Robina protestieren wollten, winkte er ab. „Habt ja recht – im konkreten Fall. Vielleicht hätte ich auch so gehandelt, aber nur, weil das Tier da oben hing und zitterte. Im allgemeinen, meine ich, machen wir zuviel Schmus, schaffen uns Probleme, die wir nicht beherrschen. Tierpark, na ja, das einzige, was da akzeptabel ist. Da sollen sie ihre Viecher züchten und von den Leuten angucken lassen. Aber diese Reservate, die sogenannten Naturparks? Hört mir auf!“
Es war dem Mann unschwer anzumerken, daß er auf eine Gelegenheit gewartet hatte, seine Meinung über dieses Problem loszuwerden – ungeachtet der Tatsache, daß Ed gerade erst aus der Narkose aufgewacht war.
Er bemerkte offenbar die erstaunten Gesichter, und er ging näher auf sein Thema ein: „Drei Jahre fast habe ich in Indien, in einem Zentral dorf am Rande eines solchen Gebietes, in einer Arztstation gearbeitet. Viermal haben uns Elefanten überfallen. Beim viertenmal haben sie das Dorf zerwalzt. Wir hatten einen Toten. Und warum? Weil sie mit diesen Reservaten das Gleichgewicht noch mehr stören, als wir es durch unsere bloße Existenz und die damit verbundene notwendige Umweltbeeinflussung tun. Wir meinen, wir wären Tierfreunde, dabei verlängern wir lediglich die Agonie, jawohl, vielleicht übertreibe ich, aber es ist so. Die Biester, diese Elefanten damals, hatten einfach nicht mehr genug Futter, haben sich vermehrt wie die Feldmäuse…“ Robina und Ed lachten. „Du übertreibst wirklich“, sagte Ed.
„Freilich übertreibe ich“, sagte der Alte und schmunzelte. „Aber überlege, ob nicht etwas dran ist an dem, was ich sage. Weißt du, worunter dort unten die meisten Menschen noch immer litten? Unter Eiweißmangel, heute, im dreiundzwanzigten Jahrhundert! Und in den riesigen Tierreservaten welche verschenkten Möglichkeiten einer
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