Die Krone der Macht
willst! Ich bin eine Frau, und du bist ein Mann, und es schickt sich nicht, dass wir zusammen in einem Raum schlafen. Aber du warst ein guter Freund meiner Eltern und wie ein Bruder für meinen Vater. Ich sehe daher eher einen Verwandten in dir. Und außerdem - glaubst du, wir werden auf unserer Reise auf solche Dinge immer Rücksicht nehmen können?“
„Verzeih!“ lächelte Nador. „Ich habe mich töricht benommen! Aber es fällt mir nicht leicht, in dir das kleine Mädchen wiederzufinden, das ich einst auf den Knien wiegte. Du bist zu einer sehr schönen Frau erblüht, und das macht mich etwas verlegen. Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich, die ich einst so sehr verehrt habe. Aber du hast Recht! Wir werden in Zukunft auf Etikette keine Rücksicht nehmen können.“
Er schloss die Tür und begab sich zu einem der Betten, um sich auszukleiden. Er zog sich bis auf seine Kniehosen und das leichte, weiße Leinenhemd aus und legte sich nieder. Verwundert sah Sarja, dass sein Körper - abgesehen von der Missbildung seines Rückens - muskulös und gut proportioniert war. Seine Brust war keineswegs eingesunken wie bei den meisten Buckligen, sondern breit und gewölbt und mit ausladenden Schultern. Trotz seiner leicht gebeugten Haltung war er recht groß. Eines seiner langen Beine war etwas kürzer als das andere, aber ansonsten wohl geformt und gerade. Wäre die Verkrümmung seines Rückgrats nicht gewesen, hätte man Nador einen schönen Mann nennen können. Während auch sie sich auskleidete, musterte sie ihn verstohlen. Sie begann sich zu fragen, ob sie in ihm tatsächlich nur so etwas wie einen Bruder sah. Verwirrt verzichtete sie darauf, sich selbst eine Antwort zu geben, und zog entschlossen ihr Kettenhemd über den Kopf. Sie trug darunter ein aus weich gegerbten, dünnen Leder gefertigtes Hemd, das bis über ihre Hüften reichte. Unter ihrer engen Hose aus festen Leinen hatte sie noch eine ebensolche aus dem gleichen Leder an. Das weiche Material schmiegte sich eng an ihren Körper und ließ ihre jugendlichen Formen sanft hervor treten. Gerade wollte sie sich niederlegen, als ihr Blick auf die blutgetränkte Stelle auf Nadors Schenkel fiel.
„Du bist ja verwundet!“ rief sie.
„Es ist nur eine leichte Schramme“, sagte Nador. „Mach dir darum keine Gedanken. Wir können uns morgen früh noch darum kümmern.“
„Nein, nein“, entgegnete Sarja. „ich werde dich zuerst verbinden. Sieh doch, die Wunde blutet ja noch!“
Tatsächlich hatte das Blut bereits einen großen Fleck auf der Bettdecke hinterlassen, auf der Nador lag. Sarja ging zu einem Schrank, der in der Ecke des Zimmers stand, und öffnete ihn. Sie nahm eines der sauberen Leinentücher heraus, die sie dort fand, und riss Streifen davon ab. Dann ging sie hinaus und kam kurze Zeit später mit einer Schüssel voll heißem Wasser wieder, das sie in der Küche auf dem Herd gefunden hatte. Sie setzte sich zu Nador auf den Bettrand, hob sein verletztes Bein auf ihren Schoß und schnitt mit dem Messer seine Hose über der Wunde weiter auf. Mit einem Stück des Leinentuchs wusch sie sorgfältig das Blut rund um die Verletzung ab und säuberte behutsamen die Schwertwunde, die nicht so klein war, wie Nador sie hatte glauben machen wollen.
Nador lag mit geschlossenen Augen unbeweglichen auf dem Rücken. Nur ab und zu verzog sich schmerzlich sein Mund, wenn Sarja die Wunde berührte. Nachdem die Verletzung gesäubert war, verband Sarja Nadors Bein. Ab und zu hob sie den Blick auf das Antlitz des ruhig daliegenden Mannes. Seine ebenm äßigen Züge strahlten Kraft und einen unbeugsamen Willen aus. Doch der volle, schön geschwungene Mund milderte die Härte des Gesichts. Sarja ertappte sich dabei, dass sie immer wieder diese Lippen betrachtete, und ein Gefühl großer Zärtlichkeit überkam sie.
Plötzlich öffnete Nador die Augen, und ihre Blicke trafen sich. Schnell senkte Sarja die Lider und beschäftigte sich emsig mit der Fertigstellung des Verba ndes. Aber sie hatte wohl das Lächeln gesehen, das in diesen unergründlichen Augen aufblitzte.
„ Lasse es jetzt gut sein!“ sagte er leise. „Ich danke dir für deine Fürsorge. Doch es ist weit nach Mitternacht, und du musst schrecklich müde sein nach diesem furchtbaren Tag. Und auch der Morgen wird uns noch viel Mühe bringen.“ Er richtete sich auf und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. Ein warmer Schauer durchflutete Sarja, als er seine Lippen leicht auf ihre
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